Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Überlegungen zu einem Überleitungsgesetz anstelle des Einigungsvertrages. Das will Krause unter allen Umständen verhindern, weil damit die Vorstellungen der DDR-Seite faktisch gegenstandslos würden, der Einfluss auf die Gestaltung des Prozesses nicht mehr gegeben wäre. Bekannt ist aber zu diesem Zeitpunkt schon, dass die Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Abkommens für den 1. und 2. Oktober geplant ist und damit das Tor zur Vereinigung weit offensteht.
Hansjoachim Walter hatte gegenüber Krause am Vorabend des 17. Juni zu erkennen gegeben, dass er auf der Sondersitzung den sofortigen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland proklamieren und darum bitten würde, dass mehrheitlich darüber entschieden wird. Krause bestärkt ihn in seinem Vorhaben, befürchtet aber, dass die Formulierung dieses DSU-Antrags rechtspopulistisch ausfallen könnte. Er beauftragt deshalb seinen Intimus Ulrich Born, eine Textformulierung zuzuarbeiten. Auf der Schreibmaschine, die früher bei Stasi-Chef Erich Mielke stand und sich jetzt in der CDUFraktion befindet, wird dieser Antrag verfasst.
Nachdem Walter den Antrag vorgetragen hat, muss Krause als Vorsitzender der größten Fraktion in der Volkskammer als Erster sprechen: »Ich sah die blassen Gesichter der Bundespolitiker auf der Tribüne, und dann hat das stattgefunden, was wir im Vorfeld natürlich besprochen hatten, dass wir vorschlagen, diesen Antrag in die Ausschüsse zu überweisen und nicht am gleichen Tag zur Abstimmung zu bringen. Das hat den Professor Walter nicht unbedingt so gefreut, aber gut. Und am nächsten Tag bekam ich den Anruf aus Bonn, wo der Bundeskanzler mir dankte für diese Weitsicht, und es hätte riesengroße Probleme gegeben, wenn wir jetzt einfach den Beitritt gemacht hätten, ohne den Zwei-plus-Vier-Vertrag zu realisieren. Und es kam dann von ihm selbst der Vorschlag, na ja, da müssen wir uns Gedanken machen, dass wir ziemlich schnell über einen Einigungsvertrag reden.«
Lothar de Maizière ist über diese Aktion übrigens nicht unterrichtet. Krause: »Der hätte das verboten.«
Auch Wolfgang Thierse hat die dramatische Situation nicht vergessen: »Am 17. Juni hatte die DSU urplötzlich den Antrag gestellt, die Volkskammer solle den sofortigen Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland beschließen. Und die DSU tat das mit dem Blick darauf, dass Helmut Kohl anwesend war und auf der Tribüne saß. Die Sitzung wurde unterbrochen, und jetzt kommt's: Lothar de Maizière kam zur SPD-Fraktion geeilt. Ich erinnere mich noch genau, wie er neben mir saß, auf der anderen Seite Richard Schröder, und wir darüber redeten, wie wir genau dieses verhindern könnten. Denn das hatte uns doch verbunden: keine Sturzgeburt, nicht irgendeinen regellosen, abenteuerlichen Beitritt zu vollziehen, sondern Regelungen, klare Vereinbarungen, also einen Vertrag zu erreichen.« Der Antrag der DSU wird schließlich in den Ausschuss Deutsche Einheit verwiesen.
Ähnlich turbulent geht es am Mittwoch, dem 8. August, zu, als in Vorbereitung der ersten gesamtdeutschen Wahlen das gemeinsame Wahlgesetz beschlossen werden soll: »Die Volkskammer war ja für uns etwas völlig Neues«, berichtet Amtsminister Klaus Reichen bach. »In diesem Sinne Politik machen zu dürfen war ja im Prinzip für jeden superinteressant, und die Volkskammerdebatten sind unglaublich lebendig gewesen. Wenn ich jetzt in manchen Parlamenten Debatten sehe, dann war das natürlich wesentlich aufregender. Die Themen, die in der Volkskammer behandelt worden sind, waren auch wesentlich interessanter. Wenn Sie über irgendeine Verordnung lesen müssen, wie Ihr Produkt aussehen muss oder was dazugehört, das ist etwas ganz anderes, als wenn Sie im Prinzip ständig über die deutsche Einheit reden und die Brisanz, die damit zusammenhängt. Und demzufolge war es natürlich so, dass jede Volkskammersitzung mit trockenem Dynamit versehen war. Wenn etwa die DSU alle drei Tage einen Antrag gestellt hat, dass übermorgen die deutsche Einheit sein soll. Wir hatten einmal in der Nacht eine Abstimmung, das war eine absolute Katastrophe! Es ging um das Wahlgesetz. Da kann ich mich noch erinnern, ich habe mit Sabine Bergmann-Pohl gemeinsam in der Nacht am Telefon gesessen. De Maizière hatte eine Familienfeier zu Hause. Den haben wir in der Nacht um halb eins angerufen, er muss unbedingt zur Abstimmung kommen. Er war aber schon im Schlafanzug. Der ist dann noch gekommen und andere auch. Und zum Schluss haben
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