Die letzten Tage von Hongkong
könnte man dieses Wort auch auf eine Milliardärin anwenden? Sie war nur einfach sehr, sehr gierig. Sie hat andere mit ihrer Vagina beherrscht. In dieser Hinsicht war sie wie ein Mann, sie hat andere mit dem Unterleib kolonisiert. Vielleicht hat Ihnen das nicht gefallen. Sie sind ein ziemlich unabhängiger Mensch. Das sagen alle.«
»Das ist nichts Ungesetzliches.«
Siu nickte und lächelte gezwungen.
»Haben Sie sich schon eine Meinung gebildet? War es Mord oder Selbstmord?« Chan stellte die Frage mit demütiger Stimme.
Siu schüttelte den Kopf. »So einen absurden Fall habe ich noch nie erlebt. Um zum Abfluß des Pools zu tauchen, sich daran festzubinden und dann noch die Handschellen hinter dem Rücken anzulegen« – er zuckte mit den Achseln –, »müßte man eine Lunge wie ein Blasebalg haben, aber theoretisch wäre es möglich. Junge Polizisten legen zum Spaß Handschellen in den unmöglichsten Positionen an. Wir haben das doch alle mal gemacht, nicht wahr?«
Chan nickte. »Mord wäre eine sehr viel einfachere Erklärung, aber warum sollte ein Mörder die Schlüssel zu den Vorhängeschlössern direkt unter sie in den Pool legen, wo sie vielleicht doch grade noch rechtzeitig drankommen könnte?«
»Möglicherweise, damit es wie Selbstmord aussieht? Vielleicht hat er die Schlüssel ins Wasser geworfen, als sie schon tot war.«
Siu nickte. »Daran haben wir natürlich auch schon gedacht.«
»Natürlich.«
»Aber wenn es ein Mord gewesen ist, warum haben wir dann keine Hinweise auf einen Kampf gefunden? Sie war eine kräftige, athletische Frau, nicht wahr?«
Wieder wurde Chan rot. »Sie schwamm wie ein Fisch. Sie hatte kräftige Lungen.«
Siu starrte ihn an. »Dann danke für Ihren Besuch. Wenn wir zu dem Schluß kommen, daß es kein Selbstmord gewesen ist, könnte es sein, daß wir noch einmal an Sie herantreten müssen.«
Chan stand auf. »Jederzeit.«
Auch Siu erhob sich. »Wie kommen Sie übrigens bei den Fleischwolfmorden voran? Sind die Gerüchte wahr?«
Chan zwang sich zu einem fröhlicheren Gesichtsausdruck.
»Gerüchte sind immer wahr, das wissen Sie doch. Möglicherweise habe ich sogar eine Spur. Ich treffe mich morgen abend mit einem Informanten.«
An der Tür wünschte er Siu noch viel Glück bei seinem Fall.
ACHTUNDVIERZIG
Wenn Chan sich nicht auf ein abendliches Treffen eingelassen hätte, hätte er nie herausgefunden, daß der Spucknapf auf zwei Beinen sich für einen Frauenhelden hielt. Von einem Teehaus an der Lan Fong Road aus beobachtete Chan Saliver Kan, der eine weiße Leinenhose, weiß-blaue Wildlederschuhe, einen Gürtel von Gucci und ein offenes Seidenhemd in Goldfarben trug. Mit dem linken Arm umfaßte er eine junge Chinesin, die überhaupt nichts anhatte. Nun ja, fast nichts. Riemen, nicht dicker als Schnürsenkel, stützten eine Art wippendes, rotes Geschirrtuch, das über dem Hinterteil von einem kurzen Reißverschluß zusammengehalten wurde. Ihre Kollegin auf der anderen Seite stellte insofern das Gegenstück dar, als sie vom Hals bis zu den Knöcheln mit einem fleischfarbenen Bodystocking bekleidet war. Kan war aus einem Taxi gestiegen und ging nun zusammen mit den beiden Damen in ein Stundenhotel.
Solche Etablissements waren unter der Bezeichnung »Villa« bekannt und stellten so etwas wie eine Steueroase für die Bordellbesitzer dar: Die Mädchen waren nicht fest angestellt, sondern wurden von den Kunden mitgebracht. Außerdem war es nichts Ungesetzliches, Zimmer stundenweise zu vermieten. Chan wußte, daß das einzige Problem für den Besitzer darin bestand, ob er die maximale Nutzungszeit auf dreißig Minuten beschränken sollte oder nicht. In ungefähr achtzig Prozent der Fälle war eine ganze Stunde zu lang, doch die restlichen zwanzig Prozent bestanden hauptsächlich aus Stammkunden. Drüben in Kowloon Tong, wo die Villen einen wichtigen Faktor in der Wirtschaft darstellten, hatten Marktstudien zu einem Kompromiß geführt: vierzig Minuten, und eine Strafe für jeden, der diese Zeit überschritt.
»Lassen Sie mir eine halbe Stunde Zeit, wenn Sie mich in die Villa gehen sehen«, hatte Kan gesagt, »und kommen Sie dann in Zimmer fünf. Ich buche das Nebenzimmer dazu. Am besten, Sie bringen ein Mädchen mit, damit Sie nicht auffallen.«
»Nein.«
»Na schön, dann bringe ich eben zwei mit.«
Chan fragte sich, was das nützen sollte, weil das zweite Mädchen ja nur zusammen mit Kan gesehen werden würde. Allerdings mußte er zugeben, daß der Triade in
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