Die letzten Tage von Hongkong
abgekürzt roro, hatte Eingang in die Kantonesische Sprache gefunden. Dabei handelte es sich um ein Mantra, das Geld aus dem Nichts zauberte. Niemand schiß, nichts wuchs, aber die Miete rollte herein. Innerhalb von zwanzig Jahren hatte sich Hongkong hinter Rotterdam zum zweitgrößten Containerumschlaghafen der Welt entwickelt, und irgendwo mußten diese riesigen Kisten ja hin. Südchina, der Bestimmungsort der meisten Waren, hatte keine Einrichtungen, um Container zu bewegen, also wurde ihr Inhalt auf Lastwagen verladen, und die Container blieben in den Lagern, bis ein Schiff sie wieder brauchte. Roro, ho ho: Alles war so schnell passiert, daß die Regierung keine Zeit hatte, irgendwelche Gesetze über diese Nutzung des Geländes zu erlassen.
Aus der Luft fotografiert, hätte alles wahrscheinlich unheimlich geordnet gewirkt; auf dem Boden machte sich chinesisches Chaos breit. Die Wege zwischen den rechteckigen Containern schlängelten sich kurvig dahin; einige der Kästen waren verrostet; in den ausgemusterten Containern hielten Familien nun Schweine und Hühner. Manche der neueren Behälter wurden mit Wagenhebern hochgedrückt, um Unterschlupfe für Haustiere zu schaffen und manchmal auch für Enten. Alte, gestohlene, ausgeschlachtete Autos duckten sich in die Schatten. Die schmalen Wege, die mit jedem Container neu entstanden, wurden nirgends aufgezeichnet und veränderten sich ständig. Nur die Kinder, die in der Gegend lebten, waren zuverlässige Führer.
Ein guter Platz für ein Versteck, das mußte der Mordverdächtige Chan zugeben. Er fuhr mit Saliver Kan auf dem Beifahrersitz durch die Gegend und wußte nicht so recht, was er als nächstes machen sollte. Er verlangsamte, als sie an der ersten Reihe der riesigen übereinandergestapelten Container mit dem Evergreen-Logo ankamen. Chan fühlte sich in seine Kindheit zurückversetzt, als er noch nicht über die Möbel hatte hinwegsehen können.
»Scheiße«, sagte Saliver und spuckte aus dem Fenster.
Oben auf dem Wagen sendete eine Antenne Signale aus einem Gerät, das statt des Radios im Armaturenbrett installiert war. Chan trug eine kleinere Antenne sowie einen Sender am Körper, den er einschalten sollte, sobald sie den Wagen verließen.
Chan war die Sache ein Rätsel: Die Hongkonger Polizei hatte ihre eigene, speziell ausgebildete Truppe von Männern, die gefährliche Flüchtlinge oder Terroristen bekämpfte, entwaffnete oder im Bedarfsfall auch tötete, und wie Chan gehört hatte, hatte Commissioner Tsui sie für diese Aktion einsetzen wollen. Doch Cuthbert hatte den Gouverneur umgestimmt: Es ging wieder um das Uran. Die Männer, die Chans Funksignale empfingen, gehörten alle zu den British Special Air Services: Sie waren hart und weiß, und sie waren professionelle Killer mit dem Charakter eines Amboß. Der Jäger war zum Lockvogel geworden. Aber seit seinem letzten Treffen mit Jack Siu und dem Commissioner war Chan dankbar für jeden Vorwand, aus dem Büro verschwinden zu können.
Nach der Sache mit der rotchinesischen Küstenwache hatte er gedacht, daß Peking Druck ausüben und die Ermittlungen so zum Stillstand bringen würde. Wie bei so vielen Dingen in diesem Fall jedoch hatte er sich getäuscht. Urplötzlich hatte das Empire wütend das Haupt erhoben; zumindest war Cuthbert wütend. Chan wurde gezwungen, sich eine Maschinenpistole um den Hals zu hängen. Sie war schwerer, als sie aussah, und begann unter dem Sicherheitsgurt seine Haut aufzuscheuern. Als sie die Waffe ausgehändigt bekamen, hatte Cuthbert ihm ins Ohr geflüstert: »Haben Sie keine Bedenken, die Waffe zu benutzen, Charlie. Es wird keine Nachforschungen geben, Sie haben mein Wort darauf.« Er hatte aufgeregt geklungen, fast wie ein Jäger.
Chan verschob den Gurt, an dem die Waffe hing, mit einer Hand. »Ich hab’ gedacht, Sie wissen, wo es ist«, sagte er zu Kan.
»Hier. Es ist hier.« Kan machte eine Handbewegung in Richtung der Container. »Ich hab’ nicht gewußt, daß es hier so viele gibt.« Er sammelte Speichel im Mund. »Stellen Sie sich bloß mal vor, was Sie hier alles verstecken könnten.«
Chan verlangsamte auf knapp über zwanzig Stundenkilometer und versuchte zu erraten, was Kan dachte.
»Wir werden jemanden nach dem Weg fragen müssen«, schlug Kan vor.
»Was?«
»Die Container, in denen sie sich verstecken, sind nach einem bestimmten Muster angeordnet. Das kann man nicht verwechseln. Ich sage Ihnen jetzt nicht, wie es aussieht, weil Sie mich sonst
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