Die letzten Tage von Pompeji
eher eine griechische als römische Sitte; der Leser wird jedoch in Erwägung ziehen, daß in den Städten Großgriechenlands griechischer Brauch und Aberglaube mit dem römischen gewaltig vermischt war. ]
Die Sterne verbleichten einer nach dem andern am Grauen Himmel und langsam wich die Nacht vor dem annähernden Morgen zurück, als eine dunkle Gruppe vor Ione's Thür stand. Hohe und dünne Fackeln, durch die unreife Morgendämmerung noch blässer gemacht, warfen ihr Licht auf verschiedene Gesichter, die in ihrer tiefsten Stille für den Augenblick einen Ausdruck feierlichen Ernstes an sich trugen. Bald erhob sich eine langsame und wehmüthige Musik, die zu der düstern Feierlichkeit paßte und durch die verschlossenen und geräuschlosen Straßen hinschwebte, während ein Chor von weiblichen Stimmen (die von den römischen Dichtern so oft erwähnten Praeficae , begleitet von der Tibia und der mystischen Flöte, folgendes Lied sangen:
Tritt über deines Hauses Trauerschwelle,
Wo statt der Rose die Cypresse winkt;
Du bist ein Wandrer nach Cocytus Quelle
In die die Oberwelt vor dir versinkt!
Wir laden dich mit Thränen und mit Klagen,
Es geht zum Schmause, wo der Tod kredenzt;
Des Charons Kahn wird dich hinübertragen,
Das Haus der Nacht ist schon für dich bekränzt.
Dort werden alle Freuden dir verschwinden,
Der Glanz des Tages und der Nächte Last;
Dafür wirst du die Töchter Argos[Die Danaiden, Bewahrerinnen der Stadt Argos] finden,
Dafür den Geier an Prometheus Brust;
Seryon mit dem Haupt, dem dreigestalten,
Den falschen Aeoliden[Sisyphus] , der den Stein,
Den Berg hinaufwälzt, der ihn nie will halten,
Und Tantalus in seiner heißen Pein –
Sie wirst du sehen bei dem trüben Lichte,
Das Pluto's Strand in matte Dämmrung hüllt
Du stehst am Kahn mit bleichem Angesichte,
Er wartet nur, daß wir die Pflicht erfüllt! [Fußnote: Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß dem Glauben der Alten zufolge der Schatten erst nach der Leichenfeierlichkeit übe den Styx geschifft wurde. ]
So komm denn, zögre nicht, der Schatten weilet,
Ein Unbegrabner vor dem letzten Haus;
Die Fackel dunkelt und der Morgen eilet,
Komm, Klagende, der Todte strebt hinaus!
Als die letzten Töne der Hymne verhallten, theilte sich die Gruppe in zwei Reihen und die Leiche des Apäcides wurde auf einem Ruhebette mit einer purpurnen Decke, die Füße voran, herausgebracht. Der Designator oder Marschall der düstern Ceremonie, gefolgt von seinen schwarzgekleideten Fackelträgern gab das Zeichen und langsam bewegte sich der Zug vorwärts.
Zuerst kamen die Musikanten, einen langsamen Marsch spielend, in welchem der feierliche Ton der sanften Instrumente oft durch ein lautes und wildes Schmettern der Leichentrompete unterbrochen wurde, dann die gemietheten Klagefrauen, Grablieder auf den Verstorbenen singend, und in die weiblichen Stimmen mischten sich die von Knaben, deren zarte Jahre den Gegensatz zwischen Leben und Tod, zwischen dem stoischen Laub und dem verwelkten noch schärfer hervorhoben. Die Schauspieler jedoch, die Possenreißer, der Archimimus (dem es oblag, die Rolle des Verstorbenen zu spielen), die die gewöhnlichsten Leichen regelmäßig erschienen, waren von einer Begräbnisfeier ausgeschlossen, an die sich so schauderhafte Erinnerungen knüpften.
Sodann kamen die Priester der Isis in ihren weißen Gewändern, baarfuß und Kornbüschel in den Händen; während vor der Leiche die Bilder des Verstorbenen und seiner zahlreichen athenischen Vorfahren getragen wurden. Hinter der Bahre aber folgte, umgeben von ihren Sklavinnen, die einzige noch lebende Verwandte des Verstorbenen: das Haupt bloß, die Haare fliegend, das Gesicht blässer als Marmor, aber gefaßt und still, außer daß sie dann und wann, wenn, erweckt durch die Musik, irgend ein zärtlicher Gedanke über den dunkeln Schlaf des Kummers hinzuckte, das Gesicht mit ihren Händen bedeckte und ungesehen schluchzte; denn nicht ihre Sache war der laute Kummer, die kreischende Klage, die unbeherrschte Geberde – die unterscheidenden Merkmale Derer, deren Trauer weniger aufrichtig war. Damals wie zu allen Zeiten floß der Strom des tiefen Kummers leis und still.
So bewegte sich der Zug vorwärts, bis er die Straßen durchzogen, das Stadtthor passirt und außerhalb der Mauern den Platz der Gräber erreicht hatte, den der Wanderer noch jetzt sieht.
Aus rauhem Fichtenholz, in dessen Zwischenräumen brennbare Materialien vorsorglich gelegt worden waren, hatte man den
Weitere Kostenlose Bücher