Die letzten Tage von Pompeji
Hinstarren der Menge auf Deinen Todeskampf und Deine verstümmelten Glieder, Dein Name entehrt; Dein Leichnam unbeerdigt; die Schande, der Du entgehen möchtest, sich für immer und ewig an Dein Andenken knüpfend.«
»Du rasest, Du bist der Wahnsinnig! Die Schande besteht nicht in dem Verlust der Achtung anderer Menschen – sondern in dem Verlust unserer Selbstachtung. Willst Du gehen? Du bist meinem Auge ein Gräuel! Von jeher haßte, jetzt aber verachte ich Dich!«
»Ich gehe,« sagte Arbaces, im Innern verwundet und erbittert, aber nicht ohne eine gewisse bemitleidende Bewunderung seines Opfers; »ich gehe, wir treffen uns noch zweimal – einmal vor Gericht – das anderemal vor dem Tod! Lebe wohl!«
Der Egypter erhob sich langsam, schlug sein Gewand um sich und verließ das Zimmer. Für einen Augenblick begab er sich zu Sallust, dem der Wein tüchtig zugesetzt hatte. »Er ist noch immer bewußtlos, oder verstockt; es gibt keine Hoffnung für ihn.«
»Sage das nicht,« erwiderte Sallust, der nur geringen Groll gegen des Atheners Ankläger fühlte; war er doch selbst nicht von sehr strenger Tugend und eher von seines Freundes Unglück gerührt als von dessen Unschuld überzeugt; »sage das nicht, mein Egypter! Ein so tüchtiger Trinker soll wo möglich gerettet werden. Bacchus gegen Isis!«
»Wir werden sehen,« versetzte der Egypter.
Plötzlich wurden die Riegel von Neuem zurückgeschoben, die Thüre geöffnet. Arbaces befand sich auf der offenen Straße und noch einmal fuhr die arme Nydia von ihrer langen Wache auf.
»Willst Du ihn retten?« rief sie, die Hände faltend.
»Kind, folge mir nach Hause; ich möchte mit Dir sprechen – um seinetwillen verlange ich es.«
»Und du willst ihn retten?«
Keine Antwort drang zu dem Ohr des gierigen Mädchens; Arbaces war bereits eine gute Strecke vorausgegangen; sie besann sich einen Augenblick und folgte sodann seinen Schritten stillschweigend nach.
»Ich muß dieses Mädchen in Sicherheit bringen,« sagte er nachdenklich, »damit sie nichts von dem Liebestrank aussagt. Was die eitle Julia anbelangt, so wird sie sich nicht selbst verrathen.«
Achtes Kapitel.
Ein klassisches Leichenbegängnis.
Während Arbaces in dieser Weise sich rührte, waren Kummer und Tod in dem Hause Ione's. Es war die Nacht vor dem Morgen, an welchem die irdische Hülle des ermordeten Apäcides begraben werden sollte. Der Leichnam war aus dem Isistempel nach dem Hause seiner nächsten Verwandten gebracht worden und Ione hatte in demselben Augenblicke den Tod ihres Bruders und die Anklage gegen ihren Verlobten erfahren. Der erste heftige Schmerz, der das Bewußtsein gegen alles Andere abgestumpft, sowie das schonende Schweigen ihrer Sklavinnen, hatte sie verhindert, etwas Genaues über die Lage ihres Geliebten zu erfahren. Seine Krankheit, seine Raserei und sein bevorstehender Prozeß waren ihr unbekannt. Sie hörte bloß von der Anklage gegen ihn, verwarf aber sofort mit Entrüstung jeden Glauben an dieselbe, und als sie erfuhr, daß Arbaces der Ankläger sei, da bedurfte es keines weiteren Grundes mehr, um sie zu dem festen und entschiedenen Glauben zu bestimmen, daß der Egypter selbst der Verbrecher sei. Aber die große und allgegenwärtige Wichtigkeit, mit der die Alten jede auf den Tod eines Verwandten bezügliche Ceremonie behandelten, hatte bis daher ihren Gram und ihre Überzeugung auf das Zimmer, in welchem der Tode ruhte, beschränkt. Ach, es war ihr nicht vergönnt gewesen, jene zärtliche und rührende Pflicht zu erfüllen, die den nächsten Verwandten gebot, den letzten Athem, die scheidende Seele des Geliebten aufzufassen; aber sie durfte wenigstens die starren Augen, die verzerrten Lippen schließen, bei der heiligen Hülle wachen, wie sie so frisch gebadet und gesalbt in festlichen Kleidern auf dem elfenbeinernen Bette lag; das Lager mit Blättern und Blumen bestreuen und den geweihten Cypressenzweig an den Thürpfosten erneuern. In diesem traurigen Dienste nun, unter Wehklagen und Gebet, vergaß Ione sich selbst. Einer der lieblichsten Bräuche der Alten war, die jungen Leute in der Morgendämmerung zu begraben; denn wie sie überhaupt dem Tode die mildeste Deutung zu geben bemüht waren, so dachte sich ihr poetischer Sinn, Aurora, welche die Jugend liebe, habe jene gestohlen, um sie in ihre Arme zu schließen, und obschon diese Fabel sich auf den ermordeten Priester nicht anwenden ließ, so wurde doch die allgemeine Sitte beibehalten. [Fußnote: Dies war eigentlich
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