Die letzten Tage von Pompeji
Bruders.
Nydia seufzte, schwieg eine Zeitlang still und versetzte alsdann, ohne auf seine Bemerkung zu antworten: »Du bist erst kürzlich zurückgekehrt?«
»Dies ist die sechste Sonne, die in Pompeji auf mich scheint.«
»Und bist Du wohl? – Ach! Ich darf nicht fragen. Kann einer krank sein, der diese Erde sieht, die, wie man mir sagt, so schön ist?«
»Ich befinde mich wohl. – Und Du, Nydia? Aber wie groß Du bist! Im nächsten Jahre wirst Du auf die Antworten denken müssen, die Du Deinen Liebhabern zu geben hast.«
Nydia erröthete wiederholt; diesmal runzelte sie aber auch zugleich die Stirne.
»Ich habe Dir einige Blumen gebracht,« sagte sie, ohne auf seine Bemerkung zu antworten, die sie beleidigt zu haben schien; sie tastete im Zimmer umher, bis sie den Tisch fand, an dem Glaukus stand; stellte ihr Körbchen darauf und sagte: »Die Blumen sind nicht kostbar, aber frisch gepflückt.«
»Flora selbst könnte mir keine lieblicheren darreichen,« sagte Glaukus wohlwollend, »und ich wiederhole mein den Grazien dargebrachtes Gelübde, keinen andern Kranz zu tragen, so lange Deine Hände mir solche, wie diese, winden können.«
»Und wie findest Du die Blumen in Deinem Viridarium?« Kommen sie gut fort?»
»Wundervoll! Herrlich! die Laren selbst müssen sie gepflegt haben.«
»Oh! das freut mich sehr! denn ich bin während Deiner Abwesenheit, so oft ich konnte, hingegangen, um sie zu begießen und zu pflegen.«
»Wie kann ich Dir danken, schöne Nydia?« sagte der Grieche. »Glaukus ließ sich nicht träumen, daß er in Pompeji Jemand zurückgelassen habe, der an seinen Lieblingen so großen Antheil nehme.«
Die Hand des Kindes zitterte und ihr Busen wogte unter der Tunika. Sie wandte sich verlegen um.
»Die Sonne ist heute zu heiß für diese armen Blumen,« sagte sie, »sie werden meine Abwesenheit fühlen, ich war neulich krank, und habe sie schon seit neun Tagen nicht mehr besucht.«
»Krank, Nydia! Aber Deine Wangen sind rosiger, als im vorigen Jahre.«
»Ich bin oft leidend,« sagte das blinde Mädchen mit rührendem Tone, »und je größer ich werde, desto mehr schmerzt es mich, daß ich nicht sehe. Aber jetzt zu den Blumen.«
Bei diesen Worten verbeugte sie sich leicht mit dem Kopfe, ging ins Viridarium und fing an zu begießen.
»Arme Nydia,« dachte Glaukus, indem er sie betrachtete, »Dein Geschick ist hart. Du siehst weder die Sonne noch die Erde, weder den Ocean noch die Sterne – und vor Allem kannst Du Ione nicht schauen.«
Dieser letztere Gedanke rief ihm die Erinnerung an den gestern verlebten Abend zurück, als er durch den Eintritt des Klodius in seinen Träumereien von Neuem unterbrochen wurde. Es war merkwürdig und ein Beweis, wie sehr ein einziger Abend hingereicht hatte, die Liebe des Atheners für Ione zu steigern und zu läutern, daß er, obschon er Klodius das Geheimnis seines ersten Zusammentreffens mit ihr, den Eindruck, den sie damals auf ihn gemacht, mitgetheilt hatte, doch jetzt einen unüberstehlichen Widerwillen fühlte, sogar nur ihres Namens in seiner Gegenwart zu erwähnen. Er hatte Ione unter den ausschweifendsten und zügellosesten jungen Leuten strahlend, rein und makellos wiedergefunden, und gesehen, wie sie selbst die Kühnsten mehr durch ihren Reiz als durch Furcht zu achtungsvollem Benehmen zwang, gesehen, wie sie sogar die innerste Natur der Sinnlichsten und am wenigsten Idealen änderte, und so durch ihren geistigen und reinen Zauber die Fabel der Circe umkehrte und Thiere in Menschen verwandelte. Diejenigen, die ihren Geist nicht fassen konnten, wurden durch den Zauber ihrer Schönheit der Erde entrückt; die kein Herz hatten für die Poesie, hatten wenigstens Ohren für die Melodie ihrer Stimme. Als er sie so ihre ganze Umgebung durch ihre Gegenwart reinigen und erleuchten sah, fühlte Glaukus vielleicht zum erstenmale die Fähigkeit seiner eigenen Natur; er fühlte, wie sehr seine Gesellschaft und sein Treiben der Göttin seiner Träume unwürdig gewesen sei. Ein Vorhang schien von seinen Augen hinweggenommen zu werden, und er erkannte den unermeßlichen Abstand zwischen sich und seinen Genossen, den die betrüglichen Nebel der Vergnügungen bis jetzt verborgen hatten. Durch das Gefühl seines Muthes, mit dem er nach Ionen strebte, wurde er selbst veredelt. Er fühlte, daß es hinfort seine Bestimmung sei, aufwärts zu schauen und sich zu erheben. Den Namen, der seiner glühenden Einbildungskraft als etwas Heiliges und Göttliches ertönte,
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