Die letzten Tage von Pompeji
blickte er nach der weinenden Stadt Harmodius des Freien und Perikles des Herrlichen zurück. Er hatte die Heimath der Poesie in dem poetischen Alter früherer Jugend besucht, und an die Gedanken des Patriotismus knüpfte sich bei ihm die Erinnerung an des Lebens Frühling und Fülle. Ione horchte ihm nachdenkend und still zu; diese Töne und Beschreibungen galten ihr mehr als alle die Schmeicheleien, mit denen ihre zahlreichen Anbeter sie überhäuften. War es eine Sünde, ihren Landsmann zu lieben? Sie liebte Athen in ihm – die Götter ihres Volkes, das Land ihrer Träume redeten zu ihr durch seinen Mund. Von jetzt an sahen sie sich alle Tage. In der Abendkühle fuhren sie auf das ruhige Meer hinaus. Nachts trafen sie sich in den Säulengängen und Hallen Ione's. Ihre Liebe war schnell entstanden, aber stark; sie füllte alle Quellen ihres Lebens. Herz, Verstand, Sinne und Einbildungskraft – Alles wurde zum Diener und Priester dieser Liebe. Wie wenn man bei zwei mit gegenseitiger Anziehungskraft begabten Gegenständen das Hindernis wegnimmt – so trafen jetzt auch sie auf einmal zusammen, vereinten und wunderten sich einzig, daß sie so lange Zeit von einander getrennt hatten leben können. Ja, ihre Liebe war natürlich: Beide jung, schön und geliebt, von derselben Abkunft und von demselben Geiste; – ihre Vereinigung war in der That die höchste Poesie. Sie beredeten sich, der Himmel lächle auf ihre Neigung. Wie die Verfolgten am Altare Schutz suchen, so erblickten auch sie an dem Altare ihrer Liebe ein Asyl gegen die Leiden der Erde; sie bedeckten ihn mit Blumen, ohne die Schlangen zu ahnen, die darunter verborgen lagen.
Eines Abends, den fünften nach ihrem ersten Zusammentreffen in Pompeji, kehrten Glaukus und Ione mit einer kleinen Gesellschaft auserlesener Freunde von einer Spazierfahrt um die Bucht zurück; ihre Barke glitt leicht über die vom Zwielicht beleuchteten Gewässer hin, dessen klarer Spiegel nur durch die nassen Ruder gekräuselt wurde. Während die übrige Gesellschaft sich einer munteren Unterhaltung hingab, lag Glaukus zu Ione's Füßen, ohne daß er ihr jedoch, wie er so gerne gewünscht, ins Angesicht zu schauen gewagt hätte. Ione unterbrach das Stillschweigen.
»Ach!« sprach sie seufzend, »wie würde einst mein armer Bruder sich dieser Stunde erfreut haben!«
»Dein Bruder!« sagte Glaukus, »ich habe ihn nicht gesehen. Ganz allein mit Dir beschäftigt, dachte ich an nichts Anderes, sonst hätte ich Dich schon gefragt, ob der Jüngling, in dessen Begleitung Du mich vor dem Minervatempel in Neapel verließest, nicht Dein Bruder gewesen sei?«
»Er war es!«
»Ist er hier?«
»Ja!«
»In Pompeji, und nicht beständig bei Dir? Unmöglich!«
»Er hat andere Obliegenheiten,« antwortete Ione traurig; »er ist ein Priester der Isis.«
»So jung und bei dieser Priesterschaft, die in ihren Gesetzen wenigstens so streng ist!« sagte der warme und froh gestimmte Grieche mit einem Tone der Verwunderung und des Mitleidens; »was konnte ihn zu einem solchen Entschlusse veranlassen?«
»Er war immer enthusiastisch und voll Feuer in religiösen Dingen; die Beredsamkeit eines Egypters – unseres Vormundes und Freundes – erregte in seinem Herzen den frommen Wunsch, sein Leben der geheimnisvollsten unserer Gottheiten zu weihen. Vielleicht fand er bei seinem glühenden Eifer gerade in der Strenge dieser sonderbaren Priesterschaft einen eigenthümlichen, mächtigen Reiz.«
»Und bereut er seine Wahl nicht? – Er ist hoffentlich glücklich?«
Ione seufzte tief und verhüllte ihr Gesicht mit dem Schleier.
»Ich wünschte,« sagte sie nach einer Pause, »er hätte nicht so sehr geeilt; vielleicht daß er, wie Alle, deren Erwartungen zu hoch gesteigert sind, zu leicht unbefriedigt gelassen wird.«
»Er ist also in seinem neuen Stande nicht glücklich! ... Und war dieser Egypter selbst ein Priester? Hatte er bei der Vermehrung dieser heiligen Schaar irgend ein Interesse?«
»Nein, sein Hauptinteresse war unser Glück. Er glaubte das meines Bruders zu sichern. Wir sind Waisen.«
»Wie ich,« versetzte Glaukus mit bedeutungsvollem Tone.
Ione senkte die Augen und fuhr fort: »Arbaces suchte uns den Vater zu ersetzen. Du mußt ihn kennen lernen; er ist ein Freund des Talentes.«
»Arbaces! Ja, ich kenne ihn bereits; wir sprechen wenigstens miteinander, wenn wir uns begegnen. Aber wenn Du ihn nicht so sehr liebtest, wünschte ich nicht, ihn näher kennen zu lernen. Mein Herz fühlt sich
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