Die letzten Tage von Pompeji
fürchterlich gesunkene Macht, auch nur durch die geistige Kraft wieder hergestellt werden. In Dir, Apäcides, sah ich einen meiner Lehren würdigen Schüler – einen der großen Zwecke, die noch erreicht werden können, würdigen Diener; Deine Energie, Deine Talente, Deine Glaubenseinheit, der Ernst Deines Enthusiasmus, Alles macht Dich zu einem Berufe tauglich, der ein erhabenes und glühendes Wesen so gebieterisch fordert. Deswegen habe ich Deine heiligen Wünsche angefacht und Dich zu dem Schritte angespornt, den Du gethan hast. Du tadelst mich zwar, daß ich Dir die kleinlichen Seelen und die Blendwerke Deiner Gefährten nicht zuvor enthüllt habe; aber wenn ich dies gethan hätte, Apäcides, so würde ich meinen Zweck selbst vereitelt haben; Dein edler Sinn hätte sich empört und Isis ihren Priester verloren.«
Apäcides seufzte laut. Der Egypter fuhr, ohne auf diese Gefühlsäußerung zu achten, folgendermaßen fort: »Ich führte Dich daher ohne weitere Vorbereitung in den Tempel und überließ Dich Dir selbst, damit Du alle diese Mummereien, die den Pöbel blenden, entdecken und einen Ekel an ihnen bekommen mögest. Ich wünschte, Du selbst möchtest die Triebfedern der Maschine erkennen, welche die Quelle sprudeln läßt, deren Wasser die Welt erfrischen. Dieser Prüfung waren alle unsere Priester seit undenklicher Zeit unterworfen; Diejenigen, welche sich an die Täuschung des Volks gewöhnen, werden bei deren Ausübung belassen; denen aber, deren höhere Natur eine höhere Beschäftigung verlangt, enthüllt die Religion göttlichere Geheimnisse. Ich freue mich, in Dir denjenigen Charakter zu finden, den ich erwartet hatte. Du hast Deine Gelübde abgelegt, zurücktreten kannst Du nicht mehr; vorwärts – ich will Dein Führer sein.«
»Und was willst Du mich lehren, sonderbarer und schrecklicher Mann? Neue Täuschungen, neue –«
»Nein – ich habe Dich in den Abgrund des Unglaubens geschleudert; ich will Dich jetzt zu der Höhe des Glaubens führen. Du hast die falschen Sinnbilder gesehen und jetzt sollst Du die Wirklichkeiten, die sie vorstellen, kennen lernen. Es gibt keinen Schatten, Apäcides, ohne Wesenheit. Besuche mich diese Nacht, gib mir Deine Hand darauf.«
Gerührt, aufgeregt, und durch die Reden des Egypters verwirrt, reichte ihm Apäcides die Hand, und Lehrer und Schüler trennten sich.
Bei Apäcides war in der That kein Rücktritt mehr möglich; er hatte das Gelübde der Keuschheit abgelegt und sich einem Berufe geweiht, der ihm für jetzt die ganze Strenge des Fanatismus ohne die Tröstungen des Glaubens zu zeigen schien. Es war darum natürlich, daß er sich dem sehnsüchtigen Wunsche hingab, mit einer künftig unwiderruflichen Laufbahn sich auszusöhnen. Der mächtige und tiefe Geist des Egypters übte noch eine große Herrschaft auf seine jugendliche Einbildungskraft aus, regte ihn noch zu eitlen Vermuthungen auf und erhielt ihn zwischen Furcht und Hoffnung schwebend.
Unterdessen wandelte Arbaces mit langsamen und schwerfälligen Tritten der Wohnung der Ione zu. Bei seinem Eintritte in das Tablinum, vernahm er aus dem Portikus des Peristyls her eine Stimme, die, so wohlklingend sie auch war, sein Ohr doch unangenehm berührte. Es war die Stimme des jungen und schönen Glaukus, und zum erstenmale beunruhigte eine unwillkürliche Anwandlung der Eifersucht das Herz des Egypters. Beim Eintritt ins Peristyl sah er Glaukus neben Ione sitzen. Der Springbrunnen in dem balsamisch duftenden Garten schleuderte seinen Silberstrahl in die Luft und erhielt sogar während der heißesten Tagesstunden eine herrliche Kühlung. Die Dienerinnen der Ione, die sie niemals verließen, da sie bei all der Freiheit des Lebens den zartesten Anstand beobachtete, saßen in einiger Entfernung; zu Glaukus Füßen lag die Leier, auf der er so eben Ione ein lesbisches Lied gespielt hatte. Die Scene – die Gruppe, die Arbaces vor sich sah, trug das Gepräge jener verfeinerten, ganz eigenthümlichen poetischen Idealität, die wir jetzt noch, und nicht ohne Grund, als die unterscheidende Charakteristik der Alten ansehen – die Marmorsäulen, die Blumenvasen, die weiße und unbewegliche Statue, die jede Aussicht abschloß, und vor Allem die beiden lebenden Gestalten, die einen Bildhauer entweder begeistert oder zur Verzweiflung gebracht hätten.
Arbaces stand wenige Augenblicke still und betrachtete das Paar mit einer Stirne, aus der alle gewohnte, ruhige Heiterkeit verschwunden war. Er sammelte sich gewaltsam
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