Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Tage von Pompeji

Die letzten Tage von Pompeji

Titel: Die letzten Tage von Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lytton Bulwer
Vom Netzwerk:
aber komm wieder zurück. Wenn ich bei Deiner Heimkehr nicht zu Hause sein sollte, was diesen Abend wohl der Fall sein dürfte, soll Dein Zimmer dem meinigen zunächst bereit sein. Nydia, ich habe keine Schwester – willst Du mir eine sein?«
    Die Thessalierin küßte die Hand Ione's und sagte sodann mit einiger Verlegenheit: »Eine Gunst, schöne Ione – darf ich darum bitten?«
    »Du kannst nichts fordern, was ich Dir nicht gewähren würde,« erwiderte die Neapolitanerin.
    »Man sagt mir,« sprach Nydia, »daß Du schöner seiest, als Alles, was die Erde an Lieblichem aufzuweisen hat. Ach! ich kann das nicht sehen, was die Welt erfreut. Willst Du mir also erlauben, mit meiner Hand über Dein Gesicht zu fahren – das ist mein einziges Unterscheidungszeichen der Schönheit, und ich wende es gewöhnlich richtig an!«
    Sie wartete nicht auf Ione's Antwort, sondern fuhr, noch während sie sprach, sanft und langsam mit ihrer Hand über die gebeugten und halb abgewandten Züge der Griechin hin – Züge, die nur ein Bild der Welt noch jetzt darstellt und zurückrufen kann. Dieses Bild ist die verstümmelte, aber doch so wundervolle Statue in Ione's Vaterstadt, in Neapel; jenes Antlitz von parischem Marmor, vor welchem alle Schönheit der florentinischen Venus ärmlich und irdisch erscheint – jenes Gesicht, voll Harmonie, Jugend, Geist und Seele, das neuere Forscher für eine Darstellung der Psyche halten. [Fußnote: Die wundervollen Ueberbleibsel der so benannten Statue in dem Museo Burbonico. Das Gesicht ist, was die Züge und das darin ausgedrückte Gefühl anbelangt, das schönste, was uns die alte Bildhauerkunst hinterlassen hat. ]
    Ihre Augen glitten langsam über das geflochtene Haar und die glatte Stirne – über die weiche und blühende Wange, über das Grübchen im Kinn – über den weißen Schwanenhals. »Ich weiß jetzt,« hub sie an, »daß Du schön bist, und kann Dich mir nun und für immer in meiner Dunkelheit vorstellen.«
    Als Nydia sie verließ, versank Ione in tiefe aber köstliche Träumereien. Glaukus liebte sie also; er gestand es – ja, er liebte sie. Sie wunderte sich, wie sie je eine Silbe gegen ihn hatte glauben können, sie wunderte sich, wie der Egypter fähig gewesen war, eine Gewalt gegen Glaukus auszuüben. Sie fühlte einen Schauder, als sie nochmals auf seine Warnung gegen den Arbaces zurückkam und ihre geheime Furcht vor diesem dunkeln Wesen steigerte sich bis zum Grauen. Aus diesen Gedanken wurde sie durch ihre Dienerinnen aufgeweckt, die ihr meldeten, daß die zum Besuche des Arbaces bestimmte Stunde nunmehr gekommen sei. Sie erschrak, denn sie hatte das Versprechen vergessen Ihr erster Entschluß war, diesen Besuch zu unterlassen, ihr zweiter, über ihre Furcht vor ihrem ältesten Freunde zu lachen. Sie beeilte sich, ihrer Kleidung den übrigen Schmuck beizufügen, und unentschlossen, ob sie schon jetzt den Egypter näher über seine Anklagen gegen Glaukus befragen, oder ob sie warten solle, bis sie, ohne die Quelle anzugeben, die Anschuldigung selbst dem Glaukus mitgetheilt habe, schlug sie den Weg nach der düstern Behausung des Arbaces ein.

Siebentes Kapitel.
Ione in der Schlinge – Die Maus sucht das Netz zu zernagen.
    »O theuerste Nydia!« rief Glaukus, als er den Brief Ione's las, »herrlichster Bote, der je zwischen Himmel und Erde verkehrte – wie soll ich Dir danken?«
    »Ich bin schon belohnt,« sagte die arme Thessalierin.
    »Morgen, morgen, wie werd' ich die Stunden bis dahin zubringen?«
    Der liebeglühende Grieche wollte Nydia, obgleich sie mehremale das Zimmer zu verlassen suchte, nicht von sich fortlassen; sie mußte ihm jede Silbe der kurzen Unterredung, die zwischen Ione und ihr stattgefunden, zu wiederholten Malen vorsagen; tausendmal befragte er sie, ihren unglücklichen Zustand vergessend, nach den Blicken und der Miene seiner Geliebten; dann wieder plötzlich seinen Fehler entschuldigend, bat er sie, den ganzen hiedurch unterbrochenen Bericht noch einmal zu wiederholen. So vergingen rasch und entzückend für ihn, qualvoll aber für Nydia, die Stunden, und das Zwielicht war bereits eingebrochen, ehe er sie mit einem neuen Briefe und frischen Blumen zu Ionen zurücksandte. Kaum war sie fort, als Klodius und mehre seiner muntern Genossen zu ihm hereinstürmten; sie spotteten über seine Zurückgezogenheit während des ganzen Tages und über seine Abwesenheit von den sonst gewöhnlich besuchten Orten; sie luden ihn ein, sie nach den verschiedenen

Weitere Kostenlose Bücher