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Die letzten Worte des Wolfs

Die letzten Worte des Wolfs

Titel: Die letzten Worte des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Sternensprenkeln mit dem Sichelmond zunehmend matt und glanzlos wurde, weil im Osten hinter Wandry langsam die Sonne aufging. Plötzlich explodierte eines der Stadtgebäude. Eine weiße Eruption, die den Himmel kurz von unten her erhellte. Eine Stichflamme, die sämtliche anderen Häuser überragte. Ein ungeheures Krachen, dann das Brausen einer Druckwelle. Holz-und Mörteltrümmer stiegen auf und sprengten in alle Richtungen davon. Bis hin zur Aglaeca regnete es Trümmer. Das Hafenbecken schien zu kochen unter dem Bewurf. Bestar und Hellas gingen von der Druckwelle zerzaust in Deckung, Eljazokad schirmte Rodraeg ab vor Holzstücken und Steinchen, die alle Rauchfahnen hinter sich herzogen.
    Â»Nein … nein … nein …«, stöhnte Rodraeg.
    Kurz war es still in Wandry. Dann begann das Schreien. Schreie der Panik. Schreie der Verwundeten. Rufe von welchen, die Maßnahmen organisierten. Mehrere Feuer waren ausgebrochen und schleuderten orangegelbes Licht um sich. Man machte sich an Löscharbeiten. Selbst am Hafenbecken tauchten verschlafene Bürger mit Eimern auf.
    Â»Das Sturmhaus«, kommentierte die Gezeitenfrau ungerührt. »Yrmenlaf wohnte dort, müßt ihr wissen. Wie es sich für einen richtigen Stadtkapitän eben gehört. Allzu viele Tote wird es nicht gegeben haben. Nachts ist im Sturmhaus nichts los. Yrmenlafs Familie und ein paar aus seiner Mannschaft, die Wache hielten.«
    Â»Wir sind nicht hierhergekommen«, ächzte Rodraeg, »um Wandry in Schutt und Asche zu legen.«
    Â»Selbstverständlich nicht! Ihr habt die Stadt vor weitaus größerem Schaden bewahrt. Der Gefangene ist in der Vergeltung aufgegangen. Er ist tot. Sein Zorn geißelt die Wale nicht mehr mit Wut und mit Schmerz, sein Lied wird irgendwann verklungen sein. Sie werden also nicht in den Hafen kommen, um alle Schiffe und Pfahlbauten zu zerschmettern. Aber wir müssen ihnen dennoch entgegenrudern, sonst geraten sie in ihrer Verwirrung und ihrer Neugier noch in die flachen Gewässer des Sundes, stranden und kommen um.«
    Â»Wie hat er das gemacht?« fragte Bestar. »Diese Zerstörungskraft?«
    Die Alte lachte abgehackt. »Tja, wie ihr sehen konntet, war er wohl eher ein Feuer- denn ein Wassermagier. Acht Jahre lang dazu gezwungen zu werden, sich im Sinne Wandrys ausschließlich dem Wasser zu widmen, hat in ihm eine ungeheure Feuerenergie angereichert, die irgendwann zum Ausbruch kommen mußte.«
    Â»Die Bannsymbole haben sein Feuer zurückgehalten«, war Eljazokad jetzt klargeworden. »Kaum aus dem Bannkreis befreit, konnte er die Hitze nicht mehr halten. Er mußte sterben. Mit letzter Kraft ist es ihm gelungen, wenigstens einen angemessenen Ort dafür zu finden.«
    Â»Dann hätten wir ihn also nicht befreien dürfen«, hustete Rodraeg.
    Â»Wir hatten doch gar keine andere Wahl«, tröstete ihn Eljazokad. »Die Wale, die Stadt, ihr Kapitän und sein Gefangener. Alles Teile desselben Knotens. Jemand mußte ihn lösen.«
    Â»Ja, diesmal haben wir gewonnen, ohne daß wir gefangen wurden!« lachte Hellas und eilte unter Deck, um nach ihren metallischen Ausrüstungsteilen zu sehen, die ausnahmslos abgekühlt waren.
    Â»Jetzt los, los, los!« machte Bestar allen anderen Beine, während sie sich wieder ankleideten und ausrüsteten. »Ins Boot mit euch! Wir werden Wale sehen! Wir werden Wale sehen!«
    Als sie durch die vordere Einfassung des Norderhafens hinausruderten, ging über Wandry die Sonne auf und beschien das fahle, zerfledderte Zelt aus Rauch, das über der Hafenstadt hing.

17

Die lebendigen Schiffe
    Zuerst passierte überhaupt nichts.
    Das Meer breitete sich vor ihnen aus, eine glitzernde, unendliche Oberfläche, die ihre Tiefgründigkeit nicht feilbot.
    Bestar nutzte die Wartezeit, um sich gründlich den Ruß abzuwaschen – mit Rodraegs nutzlosem Schwamm, den er zu diesem Zweck mitgenommen hatte – und sich wieder anzukleiden. Hellas saß unterdessen im Heck und beobachtete mit seinen Adleraugen den Wandryer Hafen, wo Bewegung war und Unruhe, wo man schließlich auch mit Beibooten an der Aglaeca festmachte, das Verschwinden des Gefangenen feststellte und die Gefesselten befreite. Der Bogenschütze war kein großer Freund der Taktik, bei geheimen Unternehmungen lebendige Zeugen zurückzulassen, aber immerhin hatten diese hier niemand anderen zu Gesicht

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