Die leuchtende Stadt
nämlich war ein heikler Moment. Wenn Morado sich bedroht fühlte, würde er sich vielleicht gegen seine Besucher und die Steine wenden. Wenn die anderen Astari glaubten, er werde bedroht – oder schlimmer noch, dass seine Integrität Schaden nehme –, könnten sie sich gegen ihn wenden, wie sie sich zuvor schon gegen Harding gewendet hatten. Sie konzentrierte ihre ganze Kraft auf einen einzigen Punkt: Ruhe zu projizieren, Furchtlosigkeit. Furchtlosigkeit und Ruhe.
Sie spürte die Anspannung in Morados Denken und Fühlen, während er versuchte, mit der neuen Macht innerhalb seines Körpers und seines Verstandes klarzukommen. Er musste schnell verstehen lernen, sich anpassen; er musste sich entscheiden, ob er Freund oder Feind gegenüberstand. Wie er sich entscheiden würde, konnte Antares nicht erspüren; sie glaubte aber, er sei am Wendepunkt angelangt und schwanke noch – wütend über den Einbruch in seine Privatsphäre, in die Intimität seiner ureigenen Gedankenwelt, die nur ihm gehören sollte, und gleichzeitig staunend über das neu erwachte Gefühl von Wissen und Macht oder die Möglichkeiten neuen Wissens.
Furchtlosigkeit, dachte sie, Ruhe.
Etwas stach aus der emotionalen Aura des Astari heraus: Er hatte einen Entschluss gefasst, eine Entscheidung getroffen. Morado sah Antares an, blickte hinüber zu den anderen. »Ich … verstehe …«, meinte er, zwang sich zu sprechen. »Ich verstehe. Es gibt … viel zu tun. Aber ihr habt mir die Steine gegeben, ja? Habt ihr? Sie haben so viel … ich kann nicht alles erkennen, aber ich spüre …« Er blinzelte und gab den Versuch auf, seine Gefühle zu erklären.
Zuerst herrschte Schweigen. Dann meinte Li-Jared: »Die Steine gehören dir. Nutze sie, behalte sie! So lange, wie die Steine selbst es wollen.« Auch Li-Jareds Worte kamen nur zögernd. Antares erkannte, dass auch er viele neue Informationen zu verarbeiten hatte: Die Lichtwolke, die ihn eingehüllt hatte – war sie das nach außen sichtbare Zeichen dafür gewesen, dass sich seine Steine und die Tochtersteine, die Hardings Gedanken- und Gefühlswelt geteilt hatten, eng miteinander verbunden hatten?
Das Schiffsdeck wurde von einem heftigen Stoß aus der Tiefe erschüttert. Erschrocken starrte Antares hinaus aufs Meer. Das grünliche Licht unterhalb der Wellen nahm an Intensität zu. Was hatte der Todesschlund dort unten in seinem Tiefseegraben vor? Was geschah auf dem Grund des Meeres, besonders mit der Stadt der Neri?
»Wir müssen unsere Taucher aus dem Wasser holen«, teilte Morado laut den anderen mit. Er verzog sein Fuchsgesicht zu einer Grimasse. »Unsere Bergungsoperation – und eure Leute …« – er blickte L’Kell an, als er das sagte – »dürften in Gefahr sein.« Er rief nach einer Ordonanz. »Finden Sie heraus, was unten vor sich geht, und setzen Sie folgende Nachricht an den Stützpunkt ab: Eruptionen verschlimmern sich. Bereiten Sie sich auf enorm hohen Seegang vor! «
»Ich muss mich mit meinen Leuten in Verbindung setzen«, sagte L’Kell drängend, und begann, auf und ab zu schreiten, wie die Neri es stets bei Beratungen zu tun pflegten. Nach Art der Neri hob er die Hände, die Finger mit den Schwimmhäuten gespreizt, um besonders zu betonen, was er nun zu sagen hatte: »Unsere Leute könnten bereits unsere Hilfe nötig haben, erst recht, wenn die Eruptionen heftiger werden!« Besorgten Blickes ging er hinüber zur Reling, starrte in die Tiefe und kehrte wieder zurück.
Morado sah ihn an. »Ich verstehe«, sagte er. »Du kannst gehen, wann immer du möchtest.« L’Kell gab einen Laut von sich, der wie ein Kichern klang, und winkte S’Cali und Jontil, ihm zu den Tauchbooten zu folgen. »Aber bitte warte noch einen Moment! Du bist hierher gekommen, um uns um unsere Mithilfe zu bitten.«
L’Kell drehte sich abwartend zu Morado um und betrachtete ihn eingehend mit seinen großen Neri-Augen. »Ja«, meinte er nur.
Morado schloss seine Augen, öffnete sie wieder. »Normalerweise hätte ich …« – chaaa – »um das Einverständnis meiner Vorgesetzten an der Küste ersuchen müssen. Aber uns läuft die Zeit davon. Ich werde also versuchen, euch zu helfen, vorerst jedenfalls. Vielleicht mag dies hier …« – er berührte die Steine in seinem Nacken – »als Gegenleistung ausreichen für das, was ihr aus unserem Raumschiff an Materialien und Gerätschaften benötigt.«
Antares spürte, wie Bandicut ein Stein vom Herzen fiel, und sie selbst erlaubte sich,
Weitere Kostenlose Bücher