Die leuchtende Stadt
Es hat’s mir gesagt, dachte sie. John hat die Wahrheit gesagt, jedes einzelne Wort stimmt! Er hat das Schiff entführt und ist damit gegen den Kometen geflogen. Eigentlich hätte sie sich darüber freuen müssen, zu wissen, dass er nicht umsonst gestorben war. Dass er ein Held war. Und normalerweise hätte sie sich auch gefreut, wäre nicht … der Translator gewesen, der jetzt auch noch von ihr verlangte, etwas für ihn zu erledigen. Vielleicht so etwas Verrücktes wie das, was John getan hatte?
Müssen noch einen Auftrag erfüllen … brauchen deine Hilfe …
Und eines hatte der Translator ihr eindeutig übermittelt: Er wollte, dass sie es für sich behielt.
Sie wälzte sich herum, nahm ihr Kissen und zog es eng an sich. Als sie an John dachte, rannen ihr wieder Tränen über das Gesicht.
10
Ausbruch
Die Neri schrien einander an. Ihre Stimmen waren eine einzige Kakophonie aus Krächzlauten, zu schnell und verwirrend, als dass Bandicuts Translatorsteine ihnen hätten folgen können.
Das Beben wurde immer stärker. Innerhalb weniger Augenblicke war aus dem seltsamen Ereignis ein Notfall geworden. Bandicut und Ik hielten sich im Hintergrund, während Askelanda den Neri Anweisungen zurief. Die Neri hasteten wild umher, manche in den Raum, manche hinaus. Bandicut stellte sich vor, dass die Kuppel über ihnen reißen würde. Wenn es tatsächlich dazu kommt, sagte er sich, ist es egal, ob du nah an der Kuppel bist oder nicht; dann stirbst du so oder so. Am Rand der Kuppel stehend, versuchte er zu erkennen, was draußen vor sich ging. Von hier oben aus hatte er einen guten Ausblick, doch um nach unten sehen zu können, musste er sich regelrecht den Hals verrenken. Das Licht aus der Tiefe war heller geworden, fast schon so grell, dass es die ganze Unterseestadt erhellte. Der Anblick erinnerte ihn an ein grell erleuchtetes Stadion, von Ferne durch einen dichten Nebel gesehen.
»L’Kell!«, rief Bandicut dem jungen Neri-Anführer zu, der mehrmals aus dem Raum und wieder hineingelaufen war und nun darauf wartete, dass Askelanda auf ihn aufmerksam wurde. »Was ist los? Greifen uns die Festländer an? Ist es ein Seebeben?«
Es schien L’Kell äußerst schwer zu fallen, sich in diesem Augenblick der Not auf Bandicut zu konzentrieren. »Die Festländer? Nein. Das ist das –«, kraafff, »– das Ungeheuer, der Allesverschlingende, im Herzen des Tiefseegrabens.«
L’Kell verstummte, als das Habitat plötzlich noch heftiger schwankte. Bandicut und Ik gerieten ins Taumeln, und Bandicut schlug gegen die Kuppelwand. Beinahe wäre ihm das Herz stehen geblieben, als er sich vorstellte, durch die Wand zu brechen. Er stieß sich wieder von der durchsichtigen Membran ab. Was war gerade geschehen? Er wandte den Kopf und sah einen Schwarm silbergesprenkelter Fische an der Kuppel vorbeischwimmen, schräg nach unten. Irgendetwas war seltsam an diesem Anblick, und er brauchte einen Moment, um zu erkennen, was es war: Die Fische schwammen eigentlich nach oben, gegen die Strömung, doch trotzdem wurden sie ins tiefere Wasser hinabgerissen.
Was für eine Art von Abwärtsströmung konnte solch eine Geschwindigkeit und Kraft haben?
»Genau davon habe ich eben gesprochen!«, rief L’Kell. »Der Todesschlund aus der unergründlichen Tiefe! Wir sind nie tief genug hinabgetaucht, um ihn zu sehen. Aber wir kennen ihn gut und haben gehofft, dass er nicht so bald wieder erwachen würde!«
»Dann, hrachh …« Ein plötzliches, bis ins Mark gehendes Knirschen, das das gesamte Habitat durchzurütteln schien, unterbrach Ik.
»Hain, kallah, Askelanda!«, brüllte L’Kell und schoss zum Rand des Kuppeldachs, um ins Meer zu blicken. Er hatte viel zu schnell gesprochen, als dass Bandicuts Steine es hätten übersetzen können. Doch einen Moment später war klar, warum er geschrien hatte.
KRIEEEE-E-E-E-E-TSCH …!
Bandicut wich vor einem lauten Kreischen zurück, das durch das Wasser so stark verzerrt wurde, dass er nicht einmal dann die Lärmquelle hätte bestimmen können, wenn sie direkt vor ihm gewesen wäre. Ein kurzes Stück hangaufwärts schwankte eine Habitatkuppel bedrohlich, krängte sich immer stärker und riss sich aus ihrer Verankerung. Die Kuppel kam, von der Strömung mitgerissen, immer näher auf die große Habitatkuppel zu, in der sich Bandicut und die anderen aufhielten; sie drehte sich dabei um die eigene Achse und zog Luftblasen hinter sich her; dann stieg sie mit märchenhaft wirkender Anmut gleich neben Bandicuts
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