Die Lichtfaenger
sein würde. Dieses letzte Argument öffnete sogar den verschlossensten Geldbeutel. Als eines Morgens alle gehfähigen französischen Soldaten, notdürftig ausgerüstet und jeder mit einem Beutel voll Nahrungsmitteln, durch das Stadttor verschwanden, glaubte man beinahe, ein hörbares Aufatmen durch die ganze Stadt zu vernehmen.
Kaum waren die Franzosen fort, bedrohte neues Ungemach die Stadt Trier. Unheimliche Gestalten in langen, schwarzen Gewändern und mit langnasigen Masken schritten durch die Gassen, pochten mit ihren langen Stöcken an die Türen, um ihre Visite anzukündigen. Scheu wechselten die Menschen auf die andere Straßenseite, machten bei ihrem Anblick auf der Stelle kehrt oder drückten sich in den nächstbesten Eingang.
Die Pest war ausgebrochen. Wahrscheinlich hatte sie einer der Soldaten eingeschleppt, vermutlich schon länger mit sich herumgetragen und nach und nach den einen und den anderen angesteckt. Friedrich Spee war fast Tag und Nacht im Sommerhaus, wohin sich nur noch wenige wagten. Selbst manche der Pestdoktoren schützten irgendwelche Gründe vor, nur um das Gebäude nicht betreten zu müssen.
Es war spät in der Nacht. Spee fühlte sich schon seit Tagen müde und zerschlagen, jetzt aber spürte er, wie ein erster Fieberschauer durch seinen Körper jagte. Dann kamen die Schübe in immer kürzeren Abständen. Kalte, schweißige Ausbrüche ließen ihn zittern, brachten seine Zähne zum Klappern. Am Morgen war er unfähig, sich von seinem Lager zu erheben. Die Hände waren mit roten Pusteln übersät und als er über sein Gesicht fuhr, fühlte es sich an wie genarbtes Leder.
Der 7. August 1635 war ein warmer Tag, vielleicht noch etwas wärmer als die vorhergehenden. Es war ein Uhr Mittag, Turck hatte das Fenster weit geöffnet, saß auf einem Stuhl neben dem Krankenbett, tupfte behutsam mit einem Tuch den Schweiß vom Gesicht seines Mitbruders und benetzte dessen aufgesprungene Lippen.
Mit einem Mal schlug Spee die Augen auf. In ihnen war ein Leuchten, wie es Turck noch nie an einem Sterbenden gesehen hatte. In seinem Blick lagen Hoffnung, Glück und Freude. »Ich gehe heim zu meinem Schöpfer. Gleich werde ich ihn sehen, werde mit ihm vereint sein!«
Turck wagte nicht zu atmen. Spees Augen wurden immer strahlender. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, während sein Kopf ganz langsam zur Seite glitt. Nur noch ein leichter Seufzer, dann war es still. Turck erhob sich, machte ein Kreuzzeichen und verließ den Raum, um die Confratres zusammenzurufen.
Am späten Nachmittag desselben Tages wurde Spees
Leichnam – obwohl nicht vollwertiges Mitglied des Ordens –
aus Sorge um eine mögliche Ansteckung in der Totengruft des Kollegs unter der Jesuitenkirche bestattet. Friedrich Spee war vierundvierzig Jahre alt geworden.
20
Freiherr Heinrich von Schultheiß hatte sein Werk 1634
vollendet. Es trug den sperrigen Titel »Instruction, wie in Inquisitionssachen des gräulichen Lasters der Zauberei gegen die Zauberer, der göttlichen Majestät und der Christenheit Feinde, ohne Gefahr der Unschuldigen zu prozedieren«. Auf fünfhundert Seiten versuchte er darin, den schon lange angekündigten wissenschaftlichen Beweis zu erbringen, dass es unmöglich sei, der Hexerei und Zauberei Angeklagte zu verurteilen, wenn diese unschuldig seien. Die »Cautio criminalis« erwähnte er darin nicht wörtlich, bezeichnete sie lediglich abschätzig als ein »Büchlein«, mit dem man sich nicht länger aufzuhalten brauche. Dafür befasste er sich ausführlich mit Tanner, den er mit seinen eigenen Erfahrungen als Hexenkommissar zu widerlegen trachtete.
»Kurfürst Ferdinand von Bayern, der ja sonst nicht zimperlich ist, was Hexensachen angeht, hat es gelesen und ist über seine Argumentation, wenn auch erst nach nunmehr fast neun Jahren, doch ein wenig nachdenklich geworden.
Jedenfalls hat er jetzt unsere theologische Fakultät in Köln um ein Gutachten ersucht. Wie du dich sicher noch erinnern kannst, hast du mir vor längerer Zeit einen Entwurf zu deinem Traktat über die Prozesse in Hirschberg zu lesen gegeben. Ich habe es Nikolaus ausgehändigt, ohne dich um Erlaubnis zu fragen. Dafür möchte ich dich um Entschuldigung bitten, aber du kennst ihn ja selbst schon lange.«
»Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Denkweise der Hexenrichter!«, warf Doktor Nikolaus Haustadt dazwischen.
»Deswegen haben wir beschlossen, dich hier in Grevenstein aufzusuchen. Eigentlich schade, dass du deine eigene
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