Die Lichtfaenger
Schrift nicht veröffentlichen willst!«, fuhr Professor Bernhard Habbel fort.
Michael Stappert schob erschrocken seinen Stuhl zurück.
»Um Gottes willen, nein! Das käme einem Selbstmord gleich, da schützt mich selbst mein geistliches Gewand nicht.«
»Du hast doch noch andere Prozesse von Schultheiß hautnah miterlebt?«, fragte Haustadt.
»Das kann man wohl sagen! Schultheiß ist mein Schicksal, er verfolgt mich bis heute in die Nächte, raubt mir den Schlaf!«
Stappert atmete schwer und musste sich überwinden weiterzusprechen. »In Hirschberg haben die Kommissare die Gertrud Koch viermal streng gefoltert, dann aber freigelassen.
Sie ist nach Anröchte gezogen, wo sie nach fast zehn Jahren, das war 1628, dem Schultheiß in die Hände gefallen ist, der sie nach der dritten Tortur endgültig auf den Scheiterhaufen schickte. Im selben Jahr hat er ein junges Ding, Else Kigel hat sie geheißen, hinrichten lassen, nachdem sie in der Folter noch ihren Vater, ihre Brüder und Verwandten angegeben hat. Mir hat sie gesagt, sie habe dem Richter Schultheiß versprechen müssen, bei ihrem Geständnis zu bleiben, da er sie ansonsten weiter martern würde. Kurz danach suchten der Richter und die Schöffen ihren Bruder Johann in dessen Haus auf und nahmen zur Einschüchterung den Henker mit. Auch das habe ich selbst miterlebt. Sie redeten auf ihn ein, freiwillig zu gestehen und sich so die Folter zu ersparen. Als das nichts nützte, folgten Drohungen. Dann ließen sie ihn mit seiner Frau allein, die ihn beschwor, sich nicht den Qualen zu unterwerfen.
Nach einer Stunde kamen sie zurück, diesmal ohne den Scharfrichter. Seine Frau wiesen sie an, vor dem Haus zu warten. Johann Kigel gab sofort zu, ein Zauberer zu sein, seine Eltern hätten es ihn gelehrt. Nach dem Geständnis verschwanden sie wieder. Kaum war er wieder mit seinem Weib allein, beteuerte er, kein Zauberer und unschuldig zu sein. Wieso hast du denn um Gottes willen deinen Vater angegeben? Hättest du denn nicht jemand anderen nennen können?, fragte sie ihn. Was hätte ich denn machen sollen?, antwortete er. Sie wollten seinen Namen hören und drohten mir mit furchtbaren Schmerzen.«
Der Pfarrer hielt inne. Die beiden sahen, wie es ihn immer noch quälte.
»Es hat ihm nichts genützt. Sie haben ihn dann doch gefoltert, wobei er zugab, ein Pferd zu Tode gehext zu haben.
Schultheiß ließ nachfragen, aber die Diedrichs, so hießen die Besitzer des Tieres, wussten nichts davon. Daraufhin ließ ihn Schultheiß noch einmal martern, um zu klären, warum er gelogen habe. In der Zwischenzeit war es dem Kigel gelungen, den Diedrichs eine Botschaft zukommen zu lassen. Darin bat er sie flehentlich, doch um Gottes willen seiner Geschichte zuzustimmen, auch wenn sie erstunken und erlogen sei, und darauf zu bestehen, er sei es gewesen, der das Pferd getötet habe, damit sie endlich aufhörten, ihn zu martern. Er stürbe gern, da er, selbst wenn er freikäme, nur noch ein verachteter Mann wäre.«
In der Stube des Pfarrhauses entstand eine schwere Stille.
»In den Protokollen der Gerichte steht natürlich nicht die Wahrheit!«, brach es aus Stappert heraus. »Da wird alles schöngeschrieben, verharmlost und verniedlicht. Wird eine Frau in der Tortur ohnmächtig, dann schreiben sie, sie sei aus Langeweile eingeschlafen. Haben sie endlich aus vor Schmerzen halb Wahnsinnigen ein Geständnis
herausgequetscht, heißt es, es hätte nur der Anwendung ganz leichter Folter bedurft, um sie zur Wahrheit zu bringen! Wie aber soll man das nachprüfen? Einem Häufchen Asche sieht man davon nichts mehr an!«
»So ähnlich oder genau so haben wir es uns vorgestellt. Wir wollten es von jemandem bestätigt haben, der die Prozeduren aus der Praxis kennt. Wir Wissenschaftler in unseren Elfenbeintürmen haben davon ehrlich gesagt nicht viel Ahnung!«, meinte Nikolaus Haustadt beinahe verlegen.
»Schultheiß beschwert sich, in Anröchte habe es ein Priester gewagt, ihn zu kritisieren! Meint er damit vielleicht dich?«
Michael Stappert nickte kurz, überlegte einen Moment, erhob sich und kam bald darauf mit einer Kladde aus dem Nebenzimmer zurück. Auf dem Deckblatt war die Zeichnung einer Brille, im linken Glas eine Sonne mit hellem Strahlenkranz, die rechte Seite mit einem Mond, darüber eine Schraffur in düsterem, dunklem Grau.
»Mein Brillentraktat«, sagte er, während er es auf den Tisch legte. »Die Sonne der Wahrheit, klar und hell gegen den getrübten Blick durch das
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