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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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über sechzig schlachtreif gemästeten Ochsen! Für drei Tulpenzwiebeln!
    Und nicht einmal auf die Hand! Der Käufer weiß gar nicht, was er bekommt! Bis jetzt hat er nur ein Stück Papier, für das er dreißigtausend Gulden bezahlt hat! Gunde, das kann nicht mehr lange gut gehen! Zehntausend Gulden für eine einzige Semper-Augustus-Zwiebel! Ein Arbeiter muss volle siebzehn Jahre dafür schuften!«
    Kunigunde sagte nichts dazu, ließ ihn reden. Seit sie hier waren, schienen alle nur noch eines im Kopf zu haben: Tulpenzwiebeln! Weber verpfändeten ihre Webstühle, Schmiede, Wagner, Fassbinder, Schneider, Glasbläser ihre Werkstätten. Müller, Krämer und Kaufleute nahmen Kredite auf, um möglichst viele Anteilscheine zu erwerben. In kunstvollen Kupferstichen wurden neue Sorten angepriesen, Kataloge, Alben und Preislisten machten die Runde, wurden von den Blumenhändlern verteilt, lagen in den Hinterzimmern der Wirtshäuser. Flugblätter kündeten von unglaublichen Gewinnen, die mit dem Handel der Knollen zu erzielen seien.
    Gastwirte, Bauern, Maurer, fahrende Handwerksburschen und Hausierer steckten ihr ganzes Geld in Tulpenzwiebeln, von denen sie noch nicht einmal wussten, ob sie überhaupt jemals Blüten tragen würden. In den Gärten der Vornehmen und Reichen waren sommers Spiegel aufgestellt, um die Farbenpracht zu vervielfältigen. Wächter waren nur damit beschäftigt, diese Kostbarkeiten nicht aus den Augen zu lassen.
    »Die Gertzens sind in Köln«, nutzte Kunigunde eine Pause.
    Mit einem Mal waren die Tulpenzwiebeln unwichtig.
    »Woher weißt du das?«
    »Pfarrer Hartmann hat aus Rheinbach geschrieben. Der Brief liegt in der Stube. Kurz nach der Festnahme des Vogtes sind sie geflohen und sind nun im Wirdenbacher Kloster bei Köln.
    Das Haus haben sie verkauft. Unsere Kinder sind wohlauf, schreibt er, und ihre Wohlgeratenheit sei eine Freude. Der Doktor Moeden…«
    Schon die Erwähnung des Namens reichte aus, um Wutröte in Löhers Gesicht schießen zu lassen. »Dieser gottlose Blutsäufer, dieser Menschenschinder, dieser Falott, dieser…«
    Als er seine Frau ansah, verstummte er mit einem Schlag.
    Über Kunigundes Wangen rannen Tränen.
    »Was ist?«
    »Die Anne Jacob, die Frau von Gotthardt Krautwig, den Johann Treingens, Appolonius Storm, Pens Leinen, den Peter Henkel und seine Frau…«
    Sie sprach nicht weiter, doch Löher wusste ohnehin, was die Nennung dieser Namen bedeutete.
    Beide schwiegen. Es war keine bestürzte Stille, dazu hatten sie schon zu viel erlebt. Ihre Seelen waren verschwielt, hatten sich mit der Zeit wie der Stamm eines Baumes mit einer nach und nach stärker und dicker werdenden Rinde überzogen. Es war eher ein hilfloses, zorniges und trauriges Schweigen, in dem aber eine gewisse Dankbarkeit lag. Dankbarkeit über das eigene Schicksal, gemischt mit einem Hauch schlechten Gewissens bei dem Gedanken, andere vielleicht im Stich gelassen zu haben, um die eigene Haut zu retten.
    »Der Schwegeler? Schreibt er etwas über ihn?«
    »Nur, dass die Sache des Vogtes ohne Zweifel ruchbar werden würde.«
    Kunigunde wischte sich mit dem Zipfel ihrer Schürze die Tränen aus dem Gesicht, während Hermann Löher im Flur in seine Pantoffeln schlüpfte und in die Stube hinüberging. Dort lag der Brief auf dem Tisch. Offensichtlich befürchtete Pfarrer Wienand Hartmann, dass sie in seiner Post herumschnüffelten.
    Wie anders war der Satz zu deuten: »Leider darf ich der Feder nicht zu viel anvertrauen.«
    Bis zum nächsten Tag hatte es sich nicht nur in Amsterdam herumgesprochen, auch nach Leyden, Arnheim und
    Nijmwegen war die Kunde gedrungen. Drei Semper-Augustus-Zwiebeln für dreißigtausend Gulden! Wer Tulpenzwiebeln hatte oder Anteilscheine besaß, fühlte sich bereits als reicher Mann. Es musste ja nicht gleich die Semper Augustus sein, schon die einfache Switzers brachte bis zu zwölfhundert, etwas bessere Sorten erzielten den märchenhaften Erlös des hundertfünfzigfachen Goldpreises! Manch einer ließ es sich nicht nehmen, mit seiner Familie und Freunden in einem Gasthaus ein rauschendes Fest zu feiern, denn er brauchte nur noch zuzuwarten, bis die Preise noch ein wenig mehr anzogen, und dann, genau dann, wenn sie ganz oben standen, –
    schwuppdiwupp – seine Zwiebeln oder Scheine zu verkaufen und er war ein gemachter Mann!
    Löhers Nachbar, der dicke Silberschmied Stelzler aus Neuss, sonst eher verschlossen und wortkarg, war wie aus dem Häuschen. »Na, Meister Löher, was sagt Ihr? Ist

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