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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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gebrochenem Herzen… ohne Vater…
    sie wollte nicht mehr leben…«, stotterte er.
    »Das Haus? Es ist doch ein Haus da?«
    George Lincoln fasste sich, faltete bedächtig seine Serviette zusammen und legte sie neben den Teller. Er will dich provozieren!, dachte er und lächelte Mister Martin freundlich an. »Ja, es ist ein Haus da! Aber es gehört meinem Bruder!«
    »Aha! Dem Bruder! Und was macht der Herr Bruder?«
    Auch die beiden Frauen spürten, wie die Situation zu eskalieren begann. »Er ist Invalide, Dad, das habe ich dir doch erzählt!«, ging Sandy dazwischen.
    Taylor Martin ließ sich nicht abbringen. »So so, Invalide!
    Bekommt er eine Rente?«
    Sandy warf George Lincoln einen beschwichtigenden Blick zu und antwortete für ihn.
    »Nein! Jock unterstützt ihn und hinter dem Haus hat er einen großen Garten!«
    »Mit ›Jock‹ ist wohl Mister Burr gemeint. Vermute ich zumindest!«, knurrte Mister Martin seine Tochter ungnädig an.
    Sie gab ihm keine Antwort und ihre Mutter nutzte die entstandene Stille, um das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
    Taylor Martin ließ seine Tochter für den Rest des Essens nicht aus den Augen. Er sah ihr Feuer, ihre Zuneigung, ihr Vertrauen und ihre Liebe. Seine Gedanken schwebten rückwärts, hielten an in einer Zeit vor etwa vierzig Jahren. Er warf einen kurzen Blick hinüber zu seiner Frau. Etwas berührte sanft sein Herz, Wärme und Dankbarkeit stiegen in ihm auf.
    »Betty«, sagte er dann, »haben wir irgendwo eine Flasche Wein im Haus?«

    30

    Eine blasse, rosafarbene Sonne mühte sich durch das Gewölk, spiegelte sich müde im dunklen Wasser der Grachten. In der Luft hing die feuchte Kühle des zu Ende gehenden Winters, beschlug die Fensterscheiben der großen Kontorhäuser mit einem milchigen Weiß. Von Simsen an den mächtigen Speichergiebeln gurrten zahllos die Tauben, ohne Unterlass beäugten sie das taugeschwärzte Kopfsteinpflaster, stürzten urplötzlich mit rauschendem Flügelflattern in die Tiefe, wenn eine Bewegung dort unten Futter zu versprechen schien.
    Pieter Hoeks hockte eingemummt, den Schal bis übers Kinn hochgezogen, auf seinem Schemel an der Straßenecke und musterte ungeniert die Passanten. Manche sprach er an, andere waren ihm nur einen kurzen Blick wert. Die »Goldene Kette«, eine Bier- und Weinschenke, wie es viele gab in Amsterdam, lag nur ein paar Schritte um die Ecke in einer Seitenstraße. Für einen Tag wie diesen herrschte ungewöhnlich viel Betrieb, ungewöhnlich waren auch die Leute, die neben ihm in der Gasse verschwanden. Handwerker, blaubeschürzt oder mit Lederwams, Dachdecker mit breitkrempigen Hüten, in vornehmes Tuch gehüllte Patrizier mit pelzverbrämten Kragen, Kaufleute in grauen Mänteln, leicht an ihrem breiten Gang zu erkennende Seeleute, bleichgesichtige Kontoristen oder Beamte – sie alle schienen nur ein Ziel zu haben. Unwillig und mürrisch sah Hoeks einem Mann nach, den er aufgrund der Hände sofort als Tuchfärber einordnete. So gern er sie sonst hier sah, gelegentlich sogar umwarb, heute waren sie ihm so überflüssig und lästig wie ein Kropf. Sie stahlen Platz im Hinterzimmer, kamen nur zum Gaffen, zum Mitbieten fehlte ihnen das nötige Kleingeld. Hermann Löher schien einer von denen zu sein, die vor seinem gestrengen Auge bestehen konnten.
    »Mein Herr!«, sagte Pieter Hoeks in verschwörerischem Ton, als Löher nicht wie viele andere in die Gasse einbog. Dabei stand er nicht auf, schließlich war es eine Ehre, von ihm zu denen gerechnet zu werden, die es sich leisten konnten.
    »Mein Herr!«, wiederholte er. »Kommt Ihr nicht auch deswegen?«
    Löher schüttelte unwillig den Kopf. »Vor der ›Speckseite‹
    bin ich schon angesprochen worden und beim ›Alten Hähnchen‹ ebenfalls.«
    »Pah!«, sagte Hoeks verächtlich und machte eine
    wegwerfende Handbewegung. »Was haben die schon zu bieten? Das taugt bestenfalls als Gemüse! Ich sage nur zwei Worte: Semper Augustus!«
    Da war Löher plötzlich hellwach, spürte ein leichtes Kribbeln in seiner Magengrube.
    »Sagt das noch einmal!«
    »Semper Augustus! In ein paar Minuten geht es los!«
    Löher überlegte nicht lange. Dieses Schauspiel konnte er sich nicht entgehen lassen. Wenn es auch viele Prinzessinnen gab, so gab es nur eine, eine einzige Königin! Und die hieß Semper Augustus!
    Im Hinterzimmer der »Goldenen Kette« standen sie bereits dicht an dicht wie die Heringe in einem Pökelfass, trotzdem wurde von hinten geschoben, gedrängt, geknufft.

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