Die Lichtfaenger
Yankee-Frauen nachsagte, entschlossen an die Vorbereitungen herangegangen, während sich George Lincoln in seine Bücher vergrub und jedes Mal regelrecht zum Schneider zur Anprobe geschleppt werden musste. Einen Hut brauchte er
selbstverständlich auch, ebenso neue Schuhe. Handschuhe?
Trägt der Bräutigam Handschuhe? Er trägt! Welche Farbe?
Doch nicht Melange! Weiß! Also zurück und umgetauscht!
Die Verwandten in Virginia waren verständigt und nach Dublin eingeladen. Für nicht unbeträchtliche Aufregung sorgte ein Artikel über die bevorstehende Hochzeit in der Tribune vom 4. Juni, in dem stand, der Bräutigam sei über sechzig und fünfundzwanzig Jahre älter als die Braut. Sandys Mutter tobte und forderte in Südstaatenmanier die sofortige Züchtigung des Reporters mit einer Ochsenpeitsche. Der Empfang durch Sandys Verwandtschaft war wie erwartet nicht gerade überschwänglich. Sie begrüßten Burr zwar höflich, hielten aber Abstand, schwiegen verlegen, wenn er sich an einen ihrer Tische setzte. Einem Yankee war nun einmal nicht zu trauen, die waren allesamt gottlos und verdorben. Selbst die Diener ließen ihn spüren, dass er nicht aus dem Süden stammte. Und dann erst die Glückwünsche! Nach dem zehnten mit süßlichem Timbre und unter heftigem Wimpernflattern vorgetragenem
»Wir wünschen euch, eure Ehe möge ebenso gut und glücklich werden wie die unsere«, während sich der Ehemann ein zähnefletschendes Lächeln abrang, ging es an die
Schmerzgrenze. Ja, es war eine schrecklich ernste und anstrengende Angelegenheit, das Heiraten.
Nun waren sie zurück in Ithaca. Andrew Dickson White hatte ihnen angeboten, in seinem Haus zu wohnen, da er sich nur noch selten dort aufhielt. Aber Sandy war nach kurzem überschlägigem Rechnen zu dem Schluss gekommen, dass das ihre finanziellen Möglichkeiten bei weitem überschreiten würde – vor allem angesichts ihrer Zukunftspläne. Sie bezogen schließlich eine winzige Wohnung, die sie beide für genau richtig befanden. Ein warmes, heimeliges Nest in einer Mansarde mit einem Wohnzimmer, einem Arbeitszimmer für Jock, einer Küche und einem Schlafzimmer – ein Raum so klein wie der andere. Zusammengekuschelt lagen sie in Sandys Bett, spürten ihre warmen Körper, während der Regen auf den Ziegeln über ihnen sein Konzert trommelte.
»Ich muss los«, flüsterte George Lincoln und biss Sandy zärtlich ins Ohrläppchen.
»Aber heute ist doch Sonntag!«, protestierte sie schwach und wusste, dass es sinnlos war.
»Ich weiß«, antwortete er, »aber ich muss noch die ganzen Briefe zur Hochzeit beantworten. Ich schiebe es schon viel zu lange vor mir her! Ich verspreche dir, ich schreibe nicht mehr…«, er überlegte kurz, »… also nicht mehr als acht Stück!«
»Wieso schreibst du sie in der Bibliothek statt zu Hause?«
»Weil ich hier die ganze Zeit nur an dich denke, Sandy!«
Wie er Sandy versprochen hatte, beantwortete er nur acht Briefe. Den neunten, an Caspar Rene Gregory, skizzierte er nur, legte ihn dann zur Seite. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte er ihn nicht zu Ende bringen können. Gregory hatte seinem letzten Brief ein gesondertes Schreiben beigelegt, das George Lincoln heftig ins Grübeln brachte.
»Du weißt, viele Befürworter der Hexenverfolgungen beziehen sich auf die Bibelstelle in Exodus, 22,18: ›Zauberer sollst du nicht leben lassen!‹ Vor ein paar Monaten habe ich von einem amerikanischen Fabrikanten eine Großschrift zur Übersetzung bekommen, die er in Ägypten von einem Händler namens Ali Arabi erworben hatte. Sie stammt aus dem vierten bis fünften Jahrhundert und enthält ein bisher unbekanntes Wort Jesu zwischen Markus 16, Vers 14 und 15. Der Text lautet: ›Und jene entschuldigten sich, indem sie sagten: Dieses Zeitalter der Gesetzlosigkeit und des Unglaubens ist unter Satan, der nicht gestattet, dass die durch die Geister verunreinigten Wesen die wahre Macht Gottes ergreifen.
Deswegen offenbare jetzt du deine Gerechtigkeit, sagten jene zu Christo. Und Christus sagte zu jenen: Die Grenze der Jahre der Macht Satans ist erfüllt. Doch jetzt naht die Wahrheit.‹«
Burr stand auf. So bibelfest war er nun doch nicht.
Matthäus… Da, Markus, 16,14: »Nach der Gefangennahme des Johannes kam Jesus nach Galiläa und predigte die Frohe Botschaft. Er sprach: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes hat sich genaht!«
George Lincoln war schlagartig die Bedeutung klar. Er sah Gregory vor sich, verschmitzt lächelnd, seine
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