Die Liebe am Nachmittag
unsere Freunde sterben, und unsere Väter, unsere Mütter sind ja ebenfalls gestorben.
Auch wird es nicht schmerzen, glauben Sie mir. Man spürt davon nicht mehr als beim Zähneziehen unter Novocain.
Merkt es überhaupt nicht.
Eigentlich ist es gar nicht wirklich.
Nein, man soll nicht alles glauben, was die Zeitungen schreiben.
Ich küsse Ihnen die Hand, damit Sie mir verzeihen, wenn Sie sich in der Dunkelheit fürchten. Immer wenn Sie Angst haben, sollen Sie spüren, dass ich Ihnen die Hände küsse.
34. Nacht
Es wurde ein wundervoller Nachmittag, als Iboly und ich zum ersten Mal zu diesem Friedhof im Tabán fuhren, mit dem Autobus Nr. 9.
Das stille Plätzchen befindet sich, nomen est omen, an der Csend-, also Stille-Gasse.
Am frühen Nachmittag ging noch ein kurzer Regenguss nieder, er hat den Straßenstaub von den Bäumen gespült, auch der Himmel über Buda war frisch gewaschen und geputzt, glänzte wie die Fensterscheiben, wenn das Stubenmädel sie blank poliert hat. So süß und tief lässt sich’s atmen in dieser lauen frischen Luft. Die Singdrosseln finden ihre Stimme wieder, desgleichen die Spatzen, sie unterhalten sich wie die Engländer übers Wetter.
Vor ein paar Jahren schon habe ich gelesen, dass aus diesem alten Tabáner Friedhof ein Spielplatz werden soll.
Einstweilen flattern hier noch zahllose Schmetterlinge umher,und an dem einen Ende des einstigen Gottesackers spielen ein paar Buben lautstark Fußball.
Dieser Friedhof hat kein Tor, keinen Zaun, er ragt wie eine Insel aus dem Meer der verbauten Umgebung heraus. Helle, moderne Häuser blicken mit ihren großen quadratischen Fenstern aus der nur einseitig bebauten Csend-Gasse und der anderen halben Straße jenseits der einstigen Ruhestätte, ihren Namen weiß ich nicht mehr, auf die grüne Friedhofsoase herab.
Hier stehen keine frischen Holzkreuze, auch sind nirgends Kränze oder verwelkte Buketts zu sehen; Hinterbliebene kommen nicht mehr her, um ihre verblichenen Lieben zu beehren.
Es dürften fünfzig oder mehr Jahre vergangen sein, seit der letzte Tote hierher begleitet worden ist. Auf diesem Friedhof gibt es keine Gräberreihen; die Grabhügel sind eingesunken wie Blasen; dieser Friedhof ist tot, vom Leben überwuchert, von Gras und Wiesenblumen; Rosskastanien grünen hier, Flieder- und Holunderbüsche sind eingezogen, die man sonst auf Friedhöfen nicht gern duldet.
An den Grashalmen haften noch die letzten Regentropfen; sie gleichen den Stängeln der Maiglöckchen, deren Blütenköpfchen aus Diamanten bestehen.
Iboly, macht er dich traurig, dieser Friedhof?
»Er ist bezaubernd!«, meint sie.
Bückt sich auch gleich, um eine Blume zu pflücken, überspringt dann mit geschlossenen Beinen den Sockel eines zerbrochenen Steinkreuzes, hüpft hierhin und dahin, um von den matten, gelblichen Marmorplatten Namen abzulesen; die Goldfarbe hat die Zeit längst abgewaschen, die vor Jahrzehnten ausgekehlten Lettern sind kaum noch zu sehen, dann hockt Iboly sich mal hier und mal da neben die Grabsteine, die längst auf den Rücken gefallen sind, buchstabiert mühsam die deutschen Namen der dort begrabenen Urgroßväter und Urgroßmütter von Buda, die Franz und Alois, Rosalien und Josefinen, die einstmals auf den Bällen im Kaiserbad Hopsassa und Pas de Quadre getanzt haben. Gerade beginnen die weißen und rosa Blättchen der Kastanienblüten zu fallen; so wundersam, als schwirrte das Konfetti jener glücklichen Ballnächte durch die Luft.
Auch jenes Mädchen von einst hat sich hingehockt, um die Namen zu buchstabieren.
Bis wir uns auf einem der umgestürzten Steine niederließen,hatte Iboly allerlei Wiesenblumen gesammelt und in ihrem Schoß ausgebreitet.
»Wie heißt diese lange Blaue?«
Eine wilde Hyazinthe.
»Und die Gelbe hier?«
Das ist der Hahnenfuß. Und die andere kleine gelbe Blume heißt Sommerwurz; Blumen der Friedhöfe, du siehst, wie treu sie bei den vergessenen Toten ausharren.
»Und diese Weiße?«
Wie, auch das weißt du nicht? Es ist Hirtentäschel.
»Und die Rote hier?«
Ja, ich kenne sie ganz persönlich, aber ihr Name ist mir entfallen. Auch kann ich dir weder von der Rosa noch von der kleinen Violetten den Namen nennen. Generäle und Telefonnummern haben sie aus meinem Kopf verdrängt.
Sie steckte das ganze Blumenvölkchen zusammen und band es mit Hilfe eines entblätterten Stängels vom Hirtentäschel zusammen.
»Mein Gott«, sagte sie, »wir sind hier auf einem Friedhof, und mir ist gar nicht
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