Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
vergessen, der Frühling kehrte zurück. Anders als sonst machte ihr der jähe Wetterwechsel dieses Mal sehr zu schaffen. Seit längerem schon war ihr morgens beim Aufstehen übel, und sie fühlte sich den ganzen Tag über müde. Ein eigenartiges Ziehen in ihrem Unterleib ließ sie aufhorchen. Zugleich schmerzte ihr der Rücken. Mehrmals holte sie tief Luft. Allmählich verrann der Schmerz. Ihr Blick schweifte umher. Bis zur Treppe neben der Münze, die zum Schloss hinaufführte, war es nicht mehr weit. Wie zufällig blieben ihre Augen an der Bude von Buchdrucker Weinrich hängen. Dicht an dicht reihten sich dort Bücher der verschiedensten Formate aneinander. Weinrich war der einzige von Herzog Albrecht privilegierte Drucker der Stadt. Neben geistlichen Schriften, Predigten, Gesangbüchern, Kirchenordnungen und Traktaten zählten insbesondere Flugschriften zu den von ihm feilgebotenen Werken. Neugierig schlenderte Gret hinüber. Über der Freude, gleich etwas Neues in der Auslage zu entdecken, vergaß sie ganz das Gewicht des schweren Korbes, den sie mit beiden Händen vor sich hertrug. Sie hatte Glück, nur wenige Interessenten standen um die Bude. Ihr Blick fiel auf ein schmales Bändchen, das in einen schlichten Papierumschlag eingebunden war. Achtlos stellte sie den Korb ab und blätterte es auf. Zu ihrer großen Freude enthielt es Gedichte und Schwänke von Hans Sachs. Den Schuhmachermeister aus ihrer Heimatstadt Nürnberg kannte sie gut. Ein Buch mit seinen Versen in Königsberg zu finden weckte eine eigenartige Sehnsucht nach zu Hause.
»Da habt Ihr gut gewählt«, sprach der Druckerknecht von Meister Weinrich sie an. »Ich hatte mir schon überlegt, ob ich es Euch nicht schicken soll. Schließlich habt Ihr mir erzählt, dass Ihr aus Nürnberg stammt.«
»Vergeudet Eure Zeit nicht mit solch abgedroschenen Versen«, widersprach eine ihr wohlbekannte Stimme. Ehe sie sich umdrehen und Polyphemus begrüßen konnte, hatte er ihr das Buch aus der Hand genommen und auf den Stapel zurückgelegt. Der Druckerknecht knurrte unwirsch ob des entgangenen Geschäfts. Nachlässig winkte der dick beleibte Bibliothekar ab.
»Lasst gut sein, Johannes. Richtet Meister Weinrich meine besten Grüße aus. Die Predigten von Melanchthon habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Für die herzogliche Bibliothek werde ich gewiss noch ein schönes Exemplar bestellen. So kommt er gut auf seine Kosten. Auch die Selege wird Euch schon noch einiges an Büchern abkaufen. Nur dieses Bändchen legt für heute beiseite, meine Liebe«, wandte er sich wieder direkt an Gret. »Der Nürnberger Schuster soll bei seinem Leisten bleiben. Zwar dichtet er ganz brav und beherrscht auch so manche Regel der Kunst, ebenso mögen seine Stücke für die berühmten Meistersinger ordentlich gefertigt sein, doch derzeit rate ich Euch zu anderer Lektüre.«
»Da bin ich aber gespannt.« Es freute sie, vor den aufmerksam lauschenden Ohren des Druckerknechts derart von einem gelehrten Mann angesprochen zu werden. Aus dem Augenwinkel meinte sie bereits zu erkennen, wie Johannes sie erstaunt musterte.
»Leider werden wir sie nicht in Weinrichs Auslage finden«, fuhr Polyphemus fort. »Begleitet mich ein Stück, dann erzähle ich Euch mehr.«
Zuvorkommend bückte er sich nach ihrem Korb, nahm ihn auf und wies zugleich einladend mit der Hand die Stiege hinauf. Auch wenn sie wusste, dass Mathilda ungeduldig auf ihre Rückkehr wartete, ging Gret gern auf sein Angebot ein. Vergessen war die Mühsal und die Übelkeit, leichtfüßig wie eine Elfe lief sie an der Seite des schwer schnaufenden Mannes die Schlosstreppe hinauf. Kaum hatten sie die letzte Stufe erklommen und standen am Beginn der schmalen Gasse, stellte er den Korb ab und kramte aus den Taschen seines besudelten Rocks einen dünnen Oktavband hervor.
»Den habe ich vor kurzem in der Bibliothek entdeckt. Nehmt ihn zu treuen Händen. Ihr seid derzeit in den drei Städten Königsbergs, wenn nicht gar im gesamten Herzogtum die Einzige, die seinen Inhalt wahrlich zu schätzen weiß. Deshalb ist es besser, Ihr besitzt ihn, als dass er länger in den Regalen verstaubt.«
»Das ehrt mich.« Voller Ehrfurcht nahm sie das Buch entgegen. Ein aufdringlicher Geruch nach feuchtem Gemäuer, Schimmel und Staub umfing es. Nur notdürftig hatte Polyphemus es vom gröbsten Schmutz gereinigt. Sie wog es in der Hand, betrachtete es von allen Seiten. Es musste einmal rege in Gebrauch gewesen sein. Der braune Schweinsledereinband
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