Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
war speckig und an den Kanten reichlich abgestoßen, am Steg gar ausgefranst. Mehrere Flecken auf dem Umschlag sowie am Papierschnitt verrieten, wie achtlos man in früheren Zeiten mit dem Buch umgegangen war. Vielleicht aber war es auch ein Beweis, wie sehr man es geschätzt und deshalb überallhin mitgenommen hatte, um darin zu lesen. Neugierig blätterte sie es auf. »Handgeschrieben!«, entfuhr ihr. Das Titelblatt fehlte. Gezackte Papierreste im Falz deuteten darauf hin, dass jemand die ersten Seiten wenig fachmännisch mit dem Messer herausgeschnitten hatte. Mitten im Text ging es los. Andächtig bewunderte sie die sorgfältigen Schwünge der einzelnen Buchstaben. Sie waren ebenso schlicht wie der Einband, dafür aber äußerst gleichmäßig. Bei Kapitelanfängen und neuen Abschnitten fehlten aufwendige, mehrfarbige Initialen. Stattdessen fanden sich in den Textspalten immer wieder Zeichnungen. Ab der Buchmitte wechselte die Handschrift, dennoch war auch der zweite Schreiber sehr auf Akkuratesse bedacht gewesen. Seine Striche fielen etwas ungelenker aus als die des ersten, waren aber dennoch gut erkennbar. Gret staunte, als sie sich die Worte genauer besah und die Zeichnungen verfolgte. Sie blätterte vor zur ersten Seite, las noch einmal die dortigen Zeilen. »Ein Buch über das Brauwesen! Wo stammt es her?« Begeistert strahlte sie ihn aus ihren hellblauen Augen an.
    »Vor allem: Wieso befindet es sich in der herzoglichen Bibliothek?«, erwiderte Polyphemus ähnlich aufgekratzt wie sie. Die arg gerupften Federn auf seinem Hut wippten vergnügt, in seinen wachen hellen Augen blitzte die reinste Frühlingslust auf. Gegen die Wärme hatte er viel zu viel Veilchenwasser auf seinen scheckigen Rock gesprengt. Gret war froh, dass er zumindest auf die Schaube mit dem löchrigen Pelzkragen verzichtet hatte, sonst hätte er die Mischung aus scharfem Schweiß und schlechtem Veilchenöl gewiss noch stärker verströmt. Ihr Blick streifte seine Hände. Wie immer waren sie tintenfleckenübersät, die Haut trocken vom unablässigen Blättern in den staubigen Büchern. Trotz all dieser Unzulänglichkeiten aber fühlte sie eine tiefe Verbundenheit mit ihm. Wüsste er nicht genau, was sie interessierte und beschäftigte, würde er ihr nie und nimmer dieses Buch in die Hand drücken. »Es handelt sich um die Aufzeichnungen von Angehörigen des Deutschen Ordens«, fuhr er fort. »Der Schrift nach müssen sie vor weit mehr als hundert Jahren begonnen worden sein. Leider fehlen genaue Angaben. Dafür aber gibt es umso mehr interessante Hinweise auf das Bier im damaligen Ordensland. Die Verfasser sind offenbar ausgiebig im Land herumgekommen und haben in jeder Stadt das Bier verköstigt. Wie es ihnen geschmeckt hat, könnt Ihr daran ablesen, welche Namen sie den Bieren gegeben haben. Seht nur her«, er nahm ihr das Buch aus der Hand und blätterte gezielt eine bestimmte Seite auf. »Hier wird das Bier aus Heiligenbeil als ›Gesalzener Martin‹ bezeichnet, das aus Graudenz gar als ›Kranker Heinrich‹. Auch das aus den Königsberger Städten dürfte ihnen schlecht gemundet haben, nennen sie es doch ›Saure Maid‹, wohingegen das aus Frauenburg offenbar sehr bekömmlich war, wie der Zusatz ›Singe wohl‹ verrät. Ebenso versehen sie das aus Dirschau mit dem Namen ›Freudenreich‹ und das aus Friedland gar mit ›Wohlgemut‹. Die Ordensbrüder haben ihre Meinung sehr freimütig kundgetan und ihr Urteil für die Nachwelt festgehalten.«
    »Schade, dass sie längst gestorben sind. Ich hätte ihnen gern einmal das Bier aus unserem Hause vorgesetzt. Mein lieber Mann besitzt die Aufzeichnungen seiner Ahnin Agnes Selege, deren Bier in allen drei Königsberger Städten sehr beliebt war. Bis heute halten sich die Seleges an die Rezeptur. Zwar würden Jörg und ich gern einiges daran verbessern, aber noch ist wohl nicht die Zeit dafür gekommen.«
    »Genau aus diesem Grund schenke ich Euch dieses Buch.«
    »Aber wieso denkt Ihr …«, setzte sie ein wenig ratlos an und überflog noch einmal die ersten Seiten.
    »Lasst es mich Euch erklären«, erwiderte er und legte ihr die Hand auf den Arm. Die vertrauliche Geste erschreckte sie ein wenig. Sie tat, als müsste sie den Sitz der Bundhaube auf ihrem bernsteingoldenen Haar prüfen, und entledigte sich deshalb behutsam seiner Hand. »Ihr seid in einem Nürnberger Gasthaus aufgewachsen und ebenso wie Euer Gemahl von Kindesbeinen an mit dem Brauwesen vertraut. Dennoch werdet Ihr Euch

Weitere Kostenlose Bücher