Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
plötzlich diese unheimliche Stille geherrscht. Darum herum aber dehnte sich nach wie vor eine undurchdringliche Nebelwand. Sie begann zu zittern. Das weiche, warme Fell der Katze kitzelte sie an den nackten Waden. Das treue Tier rieb den Kopf daran. Mit senkrecht aufgestelltem Schwanz stolzierte sie durch Mathildas Schlafgemach. Dora fühlte Genugtuung, wenn sie daran dachte, wie unrecht der Base das wäre. Elßlin aber missverstand ihren Blick, bückte sich nach der Katze und wollte sie aus der Kammer scheuchen.
»Lass sie«, hielt Dora sie zurück. »Sie stört nicht. Erzähl mir lieber, was geschehen ist.«
Elßlin nahm die Katze auf den Arm, presste sie an sich und rieb ihre Wange in dem weichen Fell. Als die Katze genüsslich schnurrte, fand sie den Mut, stockend zu berichten. »Euer Gemahl, also, der ehrwürdige Kammerrat, er war heute Morgen auch auf der Baustelle.«
»Was ist mit meinem Bruder?« Dank Elßlins kargen Worten riss die Nebelwand ein, und Dora hatte wieder klar vor Augen, was auf der Baustelle geschehen war. Eine der Stützmauern im Keller war eingestürzt. Aufgeregt hatten die Knechte begonnen, in dem Geröllhügel zu graben.
»Euer Bruder ist wohlauf«, platzte Elßlin heraus. »Mit eigenen Händen hat er geholfen, Euren Gemahl … Also, zusammen mit Euch hat man auch ihn ins Haus gebracht. Er liegt unten im Bett. Es geht ihm nicht gut.«
»Was?« Dora schrie auf. Mit einiger Verzögerung erst wurde sie sich der Bedeutung von Elßlins Schilderung bewusst. Ein böser Gedanke fraß sich durch ihren Kopf: Das war die Strafe! Wie hatte sie so töricht sein und sich Montag noch an Veits Gegenwart erfreuen, mit ihm gemeinsam von der Baukunst vergangener Zeiten schwärmen können? Wie hatte sie überhaupt je die verbotene Nähe zu ihm suchen können? Ungesühnt blieb ein solches Vergehen nicht, wie sich jetzt zeigte. Warum nur hatte es aber ausgerechnet ihren Gemahl und nicht Veit getroffen? »Wurde Urban unter dem Gestein begraben?«, hörte sie sich zu ihrem eigenen Erstaunen fragen. »Wo ist er? Ich muss zu ihm!«
Brüsk stieß sie das Mädchen beiseite und eilte zur Tür hinaus, über die dunkle Treppe nach unten. Als sie Stufe für Stufe hinunterhastete, merkte sie, dass sie barfuß war. Über die Füße kroch die Kälte die bloßen Beine herauf. Das aber war es nicht allein, was ihren Leib zittern ließ. Kaum fand sie Kraft, die Klinke an der Tür zum Schlafgemach hinunterzudrücken. Was sie dahinter erblickte, ließ sie abermals an den Rand der Besinnungslosigkeit geraten.
26
A uf den ersten Blick sah es aus, als wäre Urban bereits auf dem Totenbett aufgebahrt. Die dicken roten Vorhänge vor der Bettstatt waren allesamt weit zurückgezogen. In den Wandhalterungen flammten Fackeln, auf der Truhe neben dem Kopfende brannte eine dicke weiße Bienenwachskerze. Das Bett war in grelles Licht getaucht, während der Rest des Raumes im Dunkel versank. Die Vorhänge vor dem Fenster waren fest verschlossen. Eine gespenstische Stille hing im Raum. Dora meinte, selbst die Schritte ihrer nackten Fußsohlen hallten wie Donnerschläge von den teppichverhangenen Wänden wider.
Seit Stunden musste Mathilda neben dem Bett ausharren. Als Dora neben sie trat und ihr die Hand auf die Schulter legte, schreckte sie zusammen, um im nächsten Augenblick aufzufahren und sie böse anzustarren. Das Licht der Fackeln und der Kerze zeichnete absurde Schattenkrater auf ihr ebenmäßiges Gesicht. Die hohen Wangenknochen wirkten wie frisch aufgeworfene Wälle. In den grünen Augen stand blanke Angst. Alle Farbe war von ihrem Antlitz gewichen. Sie schürzte die blutleeren Lippen. Dann aber besann sie sich und rang sich ein scheues Lächeln ab. Überraschend sanft legte sie Dora den Arm um die Schultern, zog sie näher zum Bett und wies mit dem spitzen Kinn auf Urban.
Reglos lag Urban da. Das Gesicht aschfahl, die Wangen eingefallen, die Augen fest geschlossen. Die Nase ragte vorwurfsvoll zwischen ihnen heraus. Bis knapp unter das Kinn war die Decke hochgezogen. Dora ahnte, warum – um den Anblick des von den schweren Steinmassen zertrümmerten Leibes gnädig zu verschleiern. Sie erstarrte. Das also war die Quittung für ihre sündige Träumerei von Veit.
Auf Urbans Gesicht fanden sich überraschend wenig Spuren des schrecklichen Unglücks. Lediglich einige Kratzer an der hohen Stirn, ein langer Riss entlang der unteren Kinnpartie sowie zwei, drei blutverkrustete weiße Haarsträhnen an den Schläfen verrieten,
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