Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
niedersetzen hieß, wischte er noch einmal mit der Hand den Staub fort.
Sie dankte ihm mit einem scheuen Lächeln, wiederholte dann bangen Herzens ihre Frage: »Wo sind Jörg und sein Freund Singeknecht?«
Er wich ihr aus, gab den unschlüssig herumstehenden Männern mit der Hand einen Wink. Sogleich stürzten sie sich auf den Schuttberg, um wie die halb im Untergeschoss verborgenen anderen Männer Steine und Geröll abzutragen. Mehr als einmal brachte das Wegnehmen eines Steins den Haufen gefährlich ins Rutschen. »Passt auf!«, herrschte Miehlke seine Männer an. Das genügte Dora, um das ganze Ausmaß des Unglücks zu verstehen.
»So sind sie beide dort unten begraben? Heiliger Petrus, steh uns bei!« Ohne nachzudenken, rief sie den Schutzheiligen der Steinhauer und Maurer an, schlug hastig ein Kreuz vor der Brust. »Wie konnte das geschehen?«
Kaum wagte sie, Miehlke anzusehen. Redete er nicht seit Wochen auf sie ein, ihre Berechnungen zu überprüfen? Das aber betraf doch nur die Fiale über dem Erker. Ihr wurde schwarz vor Augen.
Nach dem Aufwachen fand sie sich zu ihrem Entsetzen in Mathildas Bett wieder. Die Schlafstube der Base lag im dritten Obergeschoss des Hauses am Mühlenberg. Wandschrägen deuteten auf die Nähe zum Spitzgiebel. Verstört hob Dora den Kopf, schob sich schließlich zum Sitzen in die dicken Kissen auf. Durch das Fenster fiel fahles Licht in die spärlich möblierte Stube. Außer dem schmalen Bett, einer Truhe und einem Schemel fand sich lediglich noch ein ehedem farbenprächtiger, inzwischen stark zerschlissener Wandteppich an der Längsseite, dem Bett genau gegenüber. Dora drehte den Kopf, entdeckte Elßlin. Die vierzehnjährige Magd kauerte auf dem Schemel am Fußende des Bettes, schwach beleuchtet vom Schein einer Talglampe, die auf der Truhe neben ihr stand. Der Kopf war ihr auf die Brust gesunken, das Tuch darauf verrutscht. Einige Strähnen blonden Haares fielen ihr ins Gesicht. Sie schlief tief und fest. Dora streckte den nackten Fuß unter der Bettdecke hervor, stieß sie sacht mit den Zehen an. Elßlin fuhr zusammen.
»Heilige Barbara!« Sie bekreuzigte sich mit ihren verbundenen Händen. Die Augen weit aufgerissen, den Mund offen stehend, starrte sie Dora an und murmelte hastig: »Ich habe es doch gewusst! Der Tag der heiligen Rita ist kein guter Tag. Nicht umsonst ist es ein Schwendtag, daran ändert auch der gelehrte Luther nichts. Niemals sollte man an einem solchen Tag sein Schicksal herausfordern. Das führt am Ende nur ins Unglück.«
»Was redest du da? Was ist überhaupt passiert? Warum liege ich hier oben und nicht unten in meinem Bett?«
»Ich w-w-w-w-weiß n-n-n-n-nicht«, stammelte die Magd, auf einmal sichtlich durcheinander, weil Dora ihren wirren Redefluss kaum beachtete. Fahrig zupfte sie am Verband um die verbrühten Hände, hob sie zum Kopftuch, versuchte es wieder ordentlich zu binden. Es war ihr deutlich anzusehen, wie emsig sie überlegte, was sie antworten und wie sie sich am geschicktesten verhalten sollte.
»Was weißt du nicht?« Dora wurde ungeduldig, schlug die Decke zurück und schwang die Füße aus dem Bett. Die Bewegung erfolgte zu schnell. Ein Schwindel erfasste ihren Kopf. Rasch schloss sie die Augen, stützte sich mit beiden Händen ab und atmete tief durch. Der Schwindel ließ nach. Sie öffnete die Augen, schaute zu Elßlin. Inzwischen hatte sie ihr Haar wieder unter das Tuch gesteckt. Das flackernde Licht fiel auf ihr kreideweißes Gesicht. Selbst die Sommersprossen schienen erblasst. »Sag endlich!« In einem Satz stand Dora auf den Füßen, schwankte, suchte Halt an dem Bettpfosten. Ihr Blick glitt über ihren Leib. Außer einem groben Leinenhemd hatte sie nichts an. Es wunderte sie, derart von Sinnen gewesen zu sein, dass sie sich weder an die Rückkehr ins Haus noch an das Auskleiden und daran, ins Bett gelegt worden zu sein, erinnerte. Angestrengt versuchte sie, sich überhaupt wieder daran zu erinnern, was geschehen war. Aus der Dunkelheit vor dem Fenster schloss sie, dass viele Stunden vergangen waren. Das Letzte, was sie noch wusste, war, am späten Vormittag zur Junkergasse unterwegs gewesen zu sein.
Ein klägliches Miauen riss sie aus dem Grübeln. Da erst fiel ihr auf, wie unheimlich still es im Haus war. Kein Knacken einer Diele, kein leises Flüstern, nicht einmal das Knistern des Herdfeuers oder das Geklapper der Töpfe waren zu hören. Das rief ihr eine andere Stille ins Gedächtnis zurück. Auch am Vormittag hatte
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