Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
sein. Doch lasst Euch gesagt sein: Das Äußere ist es nicht allein, was das Besondere der Marienburg ausmacht. Jeder, der einmal Zutritt in das Innere hatte, schwärmt bis ans Ende seiner Tage davon. Der hohen Baukunst, der man hier ansichtig wird, wohnt ein ganz eigener Zauber inne. Es scheint, als stünde sie unter ganz besonderem göttlichen Schutz.«
»Passt auf, dass Ihr Euch nicht versündigt!« Zu Doras Verblüffung schlug Mathilda ein Kreuz auf der Brust, zugleich warf sie einen fragenden Blick auf Clas Tönnies. Der Pfarrer aus Palmnicken saß zu Doras Rechten und enthielt sich einer Bemerkung. Der Ausdruck auf seinem gelblich blassen Antlitz war schwer zu deuten. Beleidigt wandte Mathilda sich ab.
»Habt Ihr schon von der Marienfigur gehört, die auf dem Hochschloss an der Außenseite des Chores der Burgkirche steht, liebe Stöckelin?«, sprühte Polyphemus ungerührt weiter vor Begeisterung. »Sie misst gut zwei Ruten in der Höhe und steht vor einem äußerst kostbaren Mosaik, das einst venezianische Meister angefertigt haben. Übrigens gilt diese Figur als unzerstörbar, wie sich vor fast fünf Menschenaltern während der Belagerung der Ordensfestung durch das polnisch-litauische Heer unter König Jagiello gezeigt hat.«
»Wieso? Was ist damals geschehen?« Gebannt schaute Dora ihn an.
»Ein Schuss aus einer Steinbüchse der Polen zielte genau auf die heilige Gottesmutter. Dabei explodierte allerdings nicht die Figur, sondern die teuflische Steinbüchse, und der arme Schütze wurde für seinen Frevel mit lebenslanger Blindheit bestraft. Die Jungfrau Maria mit dem Kind dagegen blieb völlig unversehrt. Bis auf unsere Tage thront sie in ihrer ganzen Herrlichkeit auf ihrem Platz.«
Der herzogliche Bibliothekar lächelte Dora vielsagend an. Sie war beeindruckt, Tönnies nickte zufrieden.
»Kaum mehr als ein Menschenalter später hat Euer vielbeschworener göttlicher Schutz die Ordensleute allerdings schmählich im Stich gelassen, lieber Polyphemus«, schaltete sich der Kneiphofer Kaufmann Götz Steinhaus ein. Mathilda horchte auf, wie Dora aus dem Augenwinkel beobachtete. Das ermunterte ihn. Wie zufällig strich seine mit üppigem Siegel- und Bernsteinring geschmückte rechte Hand durch den grauen Kinnbart, während die linke über den feisten Wams strich. Er kreuzte seine Füße, dabei blitzte die Silberschnalle an den blankpolierten Kuhmaulschuhen auf. Selbst im Sitzen gelang es ihm, seine Kaufmanns- und Ratsherrenwürde beiläufig hervorzukehren. »Wie sonst ist zu erklären, dass die Kreuzherren die Festung nicht halten konnten und sie schließlich doch noch an die polnische Krone übergeben mussten? Überhaupt ist der gesamte westliche Teil Preußens seither direkt den Jagiellonen unterstellt.«
»Das seht Ihr wohl etwas zu streng«, widersprach ihm Clas Tönnies. Erstaunt sahen alle auf den jungen Pfarrer aus Palmnicken. Die unerwartete Aufmerksamkeit schreckte den rundlichen, schwarzgekleideten Mann mit den auffallend gelbblonden Haaren und den grüngelb schimmernden Augen.
»Worauf wollt Ihr hinaus?« Polyphemus nahm trotz der Enge den großen Hut vom Kopf. Die Federn wischten dem ihm gegenübersitzenden Tönnies mitten durchs Gesicht, was ihn zum Niesen brachte. Angewidert rückte Dora so weit wie möglich von ihm ab. Polyphemus grinste und schaute den jungen Pfarrer neugierig an. Dessen gelbliche Wangen wechselten ihre Farbe in ein erstaunlich leuchtendes Rot. »Meint Ihr etwa im Gegensatz zu unserem lieben Steinhaus, dass man das, was seither im Ordensland geschehen ist, als Zeichen des besonderen Schutzes der Jungfrau Maria verstehen könnte?« Polyphemus tat, als müsste er angestrengt nachdenken. Sein Lächeln wurde noch breiter. Genüsslich stützte er die wurstigen Hände auf die Oberschenkel, lehnte sich gegen die Seitenwand des Wagens. »Das nenne ich mal eine herrliche Geschichte für einen lutherischen Pfarrer! Dabei habt Ihr wohl gar nicht einmal so unrecht. Die Marienburger Schutzmadonna muss in weiser Voraussicht gehandelt haben, als sie im weiteren Verlauf der Ereignisse dafür gesorgt hat, die Kreuzherren vor gut einhundert Jahren nach Königsberg zu vertreiben und den westlichen Teil Preußens den Polen zu überlassen. Ohne diese Ereignisse wäre der Orden nach wie vor in vollem Besitz seiner Macht. Auch unser lieber Herzog Albrecht wäre nie auf die Idee verfallen, als letzter Hochmeister den ehrenwerten Luther um Rat anzugehen, wie der Deutsche Orden zu retten sei. Und
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