Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
noch weniger hätte sich Luther bemüßigt gefühlt, ihm eine grundlegende Reform desselben ans Herz zu legen. Das aber hieße in letzter Konsequenz, weder der Herzog noch Preußen und damit wir alle hätten uns jemals von der katholischen Kirche losgesagt und dem Luthertum zugewendet.« Kurz hielt er inne, ließ den Blick beifallheischend über die Gesichter seiner Mitreisenden schweifen. Als alle verblüfft schwiegen, fuhr er genüsslich fort: »Mir scheint, mein lieber Tönnies, ich habe Euch bislang völlig unterschätzt. Euer Weitblick ist beeindruckend, ganz besonders, wenn Ihr ihn auf die Vergangenheit richtet und damit längst Geschehenes deutet.«
Belustigt von den eigenen Wortspielereien, schlug er sich auf die Oberschenkel und grunzte zufrieden. Sosehr Dora ihn mochte, so schwer fiel es ihr, sowohl sein Verhalten wie auch seine Schilderungen zu verstehen. Damit war sie nicht allein, wie sie feststellte. Tönnies wirkte völlig überfordert, während Steinhaus streng die Stirn runzelte und Mathilda missbilligend den Kopf schüttelte.
»Ihr versteigt Euch da in äußerst kühnen Behauptungen«, setzte der Kaufmann endlich an. »Unser lieber Pfarrer wollte gewiss nur andeuten, wie seltsam es anmutet, dass ausgerechnet Ihr als treuer Anhänger der lutherischen Lehre die Mär von der Unverletzlichkeit einer Marienfigur erzählt. Das klingt, als hinge davon das Schicksal unseres geliebten Preußenlandes ab. Dabei ist es doch wahrlich nur eine Figur …«
»Eine sehr kunstvolle allerdings«, warf Polyphemus ein. »Immerhin ist sie schon in ihren Ausmaßen ein ebensolches Wunder wie die Marienburg, von der kunstvollen Gestaltung des Mosaiks ganz zu schweigen. Denkt nur an die venezianischen Glaskünstler, die ich gerade erwähnt habe. Wenn ich Euch im Übrigen daran erinnern darf, lieber Steinhaus, so habt Ihr vorhin selbst meine Worte vom Schutz der Madonna aufgegriffen und ebendiesen der weiteren Geschichte abgesprochen.«
»Ihr seid ein elender Wortklauber, mein lieber Polyphemus!« Entgegen seinen Worten lachte der Kaufmann plötzlich herzlich und klopfte sich nun seinerseits vergnügt die Schenkel. »Ich hätte mir gleich denken können, wie sehr ich bei Euch auf der Hut bleiben muss. Ihr verdreht einem das eigene Wort im Mund.«
»Das war nie meine Absicht«, verteidigte sich der Bibliothekar. »Ebenso wie Ihr bin und bleibe ich ein überzeugter Anhänger Luthers. Deshalb halte ich wenig von dem elenden katholischen Pfaffengeschwätz, das dem Volk eine Wundergläubigkeit gegenüber Steinfiguren und Heiligen nahebringen will. Dass die Belagerung der Marienburg seinerzeit mit einem schmählichen Abzug der Belagerer und einem Sieg der Ordensleute endete, war weitaus weniger ein Wunder als eine Folge der erdrückenden Sommerhitze. Dem Heer am sumpfigen Ufer der Nogat hat sie einfach stärker zugesetzt als den Kreuzherren im kühlen Gemäuer. Wie die Fliegen müssen die tapferen Söldner umgekippt sein, von ihren mangelnden Fähigkeiten, ihre Waffen in der erforderlichen Weise zu bedienen, ganz zu schweigen. Der Schuss auf die Madonna musste also im Fiasko für den armen Schützen enden. Beträchtlichen Schaden hat die Ordensfestung aber trotzdem genommen, sonst wäre sie im Anschluss nicht noch weiter ausgebaut, ihre Mauern verstärkt, ihr Bollwerk verbreitert worden. Wie der Lauf der weiteren Ereignisse beweist, ist es ohnehin nur ein Sieg von kurzer Dauer gewesen. Den Niedergang der ordensmeisterlichen Herrlichkeit konnte er nur für eine Weile verzögern, aber nicht mehr vollends aufhalten. Ein Menschenalter später schon haben sich die Städte erfolgreich gegen die als ungerecht empfundene Ordensmacht erhoben. Die Kreuzherren haben ihnen die Marienburg zwar nicht wie so manch andere Festung nach einem verlorenen Kampf überlassen müssen, sondern weil sie sich bei der Entlohnung ihrer böhmischen Söldnertruppen übernommen haben. Dennoch aber haben die Weißmäntel daraufhin den Westen verloren gegeben und den Hochmeistersitz nach Königsberg verlagert. Doch auch dort ist ihr Niedergang unaufhaltsam gewesen. Erst der weise Entschluss unseres geliebten Herzogs Albrecht hat die ersehnte Rettung gebracht, weil er sich nicht gescheut hat, vor seinem polnischen Oheim, König Zygmunt, das Knie zu beugen und den lange überfälligen Lehnseid zu leisten. Im Gegenzug hat ihm Zygmunt den Rücken freigehalten, damit er die Erneuerung Preußens angehen konnte, die uns die Hinwendung zu Luther beschert hat. Welch
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