Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Tönnies, habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Wie aber kommt es, dass auch Ihr so früh schon Euer Lager aufgegeben habt? Dabei hat man Euch und Eurer Base ein so herrschaftliches Gemach zugewiesen.«
»Vielleicht ist das Gemach zu herrschaftlich für mich. Leider ist es mir nämlich dort nicht gelungen, in den Schlaf zu finden.«
»Ihr solltet gut mit Euren Kräften haushalten. Auch wenn wir die eintägige Verzögerung aus Marienwerder inzwischen wieder mehr als wettgemacht haben, so liegt doch noch ein sehr weiter Weg vor Euch. Übermorgen in Leslau ist erst die Hälfte der Strecke erreicht. Der zweite Teil, der quer durchs polnische Königreich führt, wird Euch noch so manche Erschwernis bieten. Zwar sind die Straßen ähnlich sicher wie im hiesigen Teil Preußens Königlichen Anteils, dennoch gilt es beim Reisen jeden Tag aufs Neue mit Überraschungen zu rechnen. Nicht von ungefähr hat Steinhaus ein halbes Dutzend Wachleute in Diensten genommen, die die Waffen, die sie mitführen, im Falle eines Falles auch gut zu gebrauchen wissen.«
»Wollt Ihr mir Angst machen? Dabei wisst Ihr, dass mir keine andere Wahl bleibt, als weiterzureisen, auch wenn sich hier in Thorn unsere Wege trennen.« Dora versuchte sich in einem Lachen, obwohl ihr der Gedanke an den bevorstehenden Abschied von Polyphemus das Herz schwermachte. »Wie gern würde ich mich Euch und Euren Freunden anschließen, die Ihr für morgen aus Allenstein hier erwartet. Eure Route über Posen nach Frankfurt an der Oder, Leipzig und letztlich Frankfurt am Main würde mir sehr behagen. Schon immer wollte ich jene Städte einmal kennenlernen, von der berühmten Frankfurter Herbstmesse ganz zu schweigen. Der abschließende Besuch in Nürnberg, wo Ihr den Winter verbringen werdet, stellt wohl den absoluten Höhepunkt dar. Was gäbe ich darum, einmal dorthin zu kommen! Mein verstorbener Gemahl wie auch mein Bruder und meine Schwägerin haben mir so viel von der Stadt erzählt, dass ich gelegentlich denke, ich wäre selbst schon einmal da gewesen, so vertraut sind mir die Kirchen, Plätze und Gassen, selbst den Geruch der Pegnitz habe ich oft in der Nase.«
»Es würde Euch in Nürnberg sehr gefallen.« Polyphemus schmunzelte. »Nicht allein der prächtigen Bauwerke wegen. Auch die übrigen Handwerkskünste stehen dort in vollster Blüte. Gerade die Gold- und Silberschmiede sind bis in die entlegensten Ecken der Welt berühmt. Denkt auch an den ehrenwerten Meister Dürer und dessen vortreffliche Kupferstiche. Zu welchem Ruhm hat er seiner Heimatstadt einst verholfen! Davon werden noch viele weitere Generationen zehren. Von den großen Geistern wie Willibald Pirkheimer oder Hartmann Schedel mit seiner kolossalen Chronik ganz zu schweigen, wie ohnehin die Humanisten an der Pegnitz dank Kaiser Maximilian eine große Blüte erlebt haben. Deren hehren Geist atmet die Stadt noch bis heute. Glaubt mir, liebe Stöckelin, am liebsten nähme ich Euch auf der Stelle mit, um Euch die Schätze im Schatten der mächtigen Kaiserburg zu zeigen. Diesen Besuch müsst Ihr leider auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Vielleicht reist Ihr dann einmal mit Eurer Tochter auf den Spuren ihrer Ahnen dorthin. Fürs Erste werdet Ihr auch in Krakau auf Eure Kosten kommen. Die besten Meister von der Pegnitz sind in den letzten Jahren an der Weichsel gewesen, um dort so manches Kunstwerk zu vollbringen. Denkt nur an den unübertroffenen Veit Stoß und seinen einzigartigen Marienaltar, den er vor mehr als einem Menschenalter in Krakau geschaffen hat. Kurze Zeit später war es der Bruder des berühmten Albrecht Dürer, der in Diensten des Königs auf dem Wawel wirkte. Wir Königsberger ziehen unseren Nutzen von diesem regen Austausch zwischen Nürnberg und Krakau, steht doch unser guter Albrecht sowohl mit seinem Oheim König Zygmunt I. Stary wie auch mit seinem Vetter Zygmunt II. August in bestem Einvernehmen. Beide sind weitsichtig genug, die Wissenschaften wie die Künste und den Handel nach Kräften zu fördern, ebenso den Austausch mit anderen Städten nicht zu vernachlässigen. Allein darin liegt der wahre Reichtum eines Landes, wie die beiden polnischen Könige gut erkannt haben.«
Ergriffen lauschte Dora seinen Worten. Was der Bibliothekar da wieder Kluges in wenigen Sätzen zusammenzufassen wusste! Der Gedanke, fortan ohne die Unterhaltung des gelehrten, mitunter etwas geschwätzigen, allerdings stets liebenswerten Mannes unterwegs zu sein, behagte ihr wenig. Gewiss,
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