Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Sie meint es aber nicht böse. Sobald der Regen nachlässt, wird sie ins Schloss gehen. Siehst du eigentlich, wie nass ich bin?«
Zur Bekräftigung zupfte sie an ihrem Kleid, das ihr wie ein schwerer Sack um den Leib hing. Es fühlte sich eiskalt an. Durchgefroren wie im tiefsten Winter, zitterte sie am ganzen Körper, die Zähne schlugen aufeinander.
»O Gott!« Die sechzehnjährige Elßlin riss erschrocken die Augen auf. Erst jetzt begriff sie, wie es um sie stand.
»Renata sollte mir ein Kleid meiner Schwägerin bereitlegen. Wenn ich nicht bald aus den nassen Sachen herauskomme, hole ich mir den Tod. Hilf du mir! Johanna schläft so tief, die wird nicht wach, wenn du sie ablegst und aufstehst.«
Ungeduldig winkte sie dem Mädchen und begann mit klammen Fingern, die Schnüre an ihrem Mieder zu lösen. Umständlich schob Elßlin das Kind von ihren Oberschenkeln. Schnaubend drehte sich Johanna auf die andere Seite, steckte den Daumen in den Mund und schlief weiter. Gret zerriss der Anblick das Herz. Was war sie nur für eine Mutter? Ihr eigenes Kind ließ sie einfach drüben bei der Magd und beschäftigte sich statt mit ihm Tag für Tag mit dieser verrückten Weiberwirtschaft in Doras Haus. Bislang hatte sie nicht einmal die Gelegenheit nutzen und in Ruhe nach Urbans Aufzeichnungen suchen können. Müde streifte sie sich das nasse Gewand von den Schultern, fühlte sich auf einmal bar jeder Hoffnung, in Königsberg je etwas Sinnvolles ausrichten, geschweige denn die Wahrheit über ihren Vater herausfinden zu können.
11
E in heftiges Gepolter schreckte Gret auf. Sogleich warf sich Elßlin wieder aufs Bett, um Johanna zu beschützen. In der Küche nebenan schepperte es, die König schrie, und Renata schrie zurück. Zugleich frischte der Sturm vor den Fenstern auf, ein greller Blitz zuckte über den grauschwarzen Regenhimmel, und es krachte ein so entsetzlicher Donner durch die Luft, dass die Fensterscheiben klirrten und die Mauern des Hauses bebten. Auf der Stelle verstummte das Geschrei in der Küche. Vor Entsetzen ließ Gret das Kleid zu Boden fallen und starrte zum Fenster. Im Sturm krümmte sich der Wipfel der mächtigen Eiche am Schlossteich. Es sah aus, als wäre das Ende des jahrhundertealten Baums nah.
Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill. Selbst der Regen hörte auf, gegen das Fenster zu trommeln.
Nach einer unendlich langen Weile setzte das Leben wieder ein. In der benachbarten Küche klirrten Töpfe, begleitet von gedämpften Stimmen. Renata und die König hatten ihren Frieden miteinander gemacht. Das Rascheln von Bettzeug verriet Gret, dass sich Elßlin erhob. Auch sie selbst kam langsam wieder zu sich.
»Seid Ihr wieder schwanger?«, piepste Elßlin, als sie ihr ein trockenes Hemd hinhielt. Die Wangen des Mädchens glühten. Es war schwer zu entscheiden, was sie mehr in Verlegenheit brachte, die Tatsache, dass Gret splitternackt vor ihr stand, oder der Umstand, dass die neue Schwangerschaft Busen und Leib bereits gut sichtbar aufquellen ließ.
»Pst!«, raunte Gret und legte beschwörend den Finger über die Lippen. Statt die Frage zu beantworten, lauschte sie angestrengt in den Flur. Sie meinte, jemand hätte an die Haustür gepocht. Ein zweites, kräftigeres Pochen bestätigte ihre Vermutung.
»Los, geh zur Tür!«, forderte sie Elßlin auf. »Ich komme schon klar. Die König sollte nicht noch einmal diese Aufgabe übernehmen.«
Elßlin warf einen besorgten Blick auf das immer noch tief schlafende Kind im Bett und verschwand sichtbar widerwillig nach draußen. Mühsam schnaufend streifte Gret erst das Hemd, dann ein Kleid Doras über. Noch ehe sie es ganz nach unten gezupft hatte, wusste sie, wie eng es sitzen würde. Vorsichtig verknotete sie die Schnüre. Wenn sie den passenden Goller darüberzog, würde man das kaum bemerken. Sie trat vor den kleinen Spiegel neben der Tür, betrachtete sich von allen Seiten, setzte eine Haube aufs Haar und strich die Haare sorgfältig darunter. Auf den ersten Blick mochte man sie für Dora halten, stellte sie lächelnd fest. Erst wer sie genauer ansah, würde die pralleren Brüste und den runderen Leib erkennen. Das bernsteingoldene Haar war fast ganz von der Haube verborgen. Sie griff nach ihrem Gürtel, legte ihn um, dann trat sie auf den Flur.
»Stöckelin, Ihr?« Eine unbekannte Männerstimme schallte von der Treppe herüber. »Wie gut, dass ich Euch doch noch zu Hause antreffe.«
Sie wandte sich um, erblickte einen hochgewachsenen, dunklen
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