Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Fahrig fuhren ihre Finger durch den Hopfen, genossen es, die vertrauten trockenen Ähren zu fühlen. »Und wer ist dieser Veit Singeknecht?«
Als wäre das ein Zeichen gewesen, pochte es laut an der Tür. Ehe Jörg öffnen konnte, wurde sie bereits schwungvoll aufgestoßen. Der Vater kam herein, murmelte einen Gruß und nahm das Barett vom Kopf. Als er ein Stück beiseitetrat, tauchte ein zweiter Mann hinter ihm auf. Er war ebenso groß und breitschultrig wie Wenzel, allerdings gut fünfundzwanzig Jahre jünger. Neugierig sah Dora ihm entgegen, bis ihr Herzschlag stockte. Das war er!
Sie fasste sich an den Hals, schnappte nach Luft, konnte den Blick nicht von dem Unbekannten abwenden. Auch er starrte sie unverhohlen an. Kein Zweifel, vor ihr stand der Mann aus dem Schafgarbentraum.
»Damit erübrigt sich deine Frage, Schwesterherz«, meldete sich Jörg vergnügt zu Wort. Aus weiter Ferne drangen seine Worte an ihr Ohr. »Das ist mein Freund Veit Singeknecht. Er ist Baumeister wie ich, allerdings mit weitaus mehr Begabung, wie du leicht feststellen wirst. Er stammt aus Nürnberg. Kurz nach meiner Ankunft im vorletzten Herbst haben wir uns kennengelernt und seither nahezu jeden Tag miteinander verbracht. Die Kunstdiener von Christoff Römer haben ihn schon vor Jahresfrist eingeladen, nach Königsberg zu kommen und sich am herzoglichen Hof vorzustellen. Allerdings ist er erst jetzt mit mir zusammen hierhergereist. Gret ist seine Base vierten Grades. Der gute Wolf Wurfbein hat unserer Heirat nur unter der Bedingung zugestimmt, dass Veit sie auf ihrem Brautzug an den Pregel begleitet.«
Mühsam schluckte Dora. Hatte sie es nicht beim Aufstehen am Morgen schon geahnt? Gregori an einem Mittwoch, das verhieß nichts Gutes. Erst kehrte Jörg frisch verheiratet mit einer Frau nach Hause zurück, die jeder für ihre blonde Schwester halten konnte, dann brachte er zu allem Überfluss auch noch den fremden Mann aus ihrem Traum in ihr Elternhaus.
Den düsteren Vorzeichen zum Trotz sträubte sich alles in ihr, der außergewöhnlichen Begegnung etwas Schlechtes beizumessen. Es musste eine höhere Bedeutung haben, vor zwei Tagen von Veit geträumt und ihn nun leibhaftig vor sich zu haben. Wie hatte sie sich nur einreden können, es hätte sich bei der Traumgestalt um Urban in jungen Jahren gehandelt? Jetzt, wo er vor ihr stand, schien ihr diese Vorstellung abwegiger denn je. Aus jeder einzelnen Faser seines Körpers spürte sie eine Kraft, die sie mit sich fortzureißen drohte. Wie sollte sie sich dem drohenden Sturm nur erwehren?
»Dora?« Besorgt rüttelte Jörg sie am Arm. Unwirsch schüttelte sie ihn ab und trat einen Schritt näher auf Veit zu.
Auffordernd hob er beide Arme, breitete die Handflächen wie zum Willkommensgruß aus. Sein kantiges Gesicht überlief ein mildes Lächeln, die grünbraunen Augen funkelten. Selbst die ausgeprägte Kerbe am Kinn war deutlich erkennbar. Dora musste an sich halten, nicht Raum und Zeit um sich herum zu vergessen und sich ihm blindlings an den Hals zu werfen. Auch er schien von ihrer Begegnung verwirrt.
»Ihr seid also Dora, Jörgs wundervolle Schwester. Ich freue mich, Euch endlich kennenzulernen. Jörg hat mir schon viel von Euch erzählt.«
Zögernd streckte er ihr die Hand entgegen. Das Zittern war unübersehbar. Sie scheute davor zurück, sie zu ergreifen. »Die Freude ist ganz meinerseits«, erwiderte sie leise.
»Doras Gemahl ist übrigens der ehrwürdige Kammerrat Urban Stöckel«, mischte Wenzel Selege sich ein, baute sich breitbeinig neben ihnen auf, fuhr in wichtigtuerischem Ton fort: »Das Wort meines Eidams besitzt am Hof des Herzogs großes Gewicht. In der Rentkammer obliegt ihm die Aufsicht und Abrechnung mit den Handwerkern. Demzufolge ist er auch für uns Baumeister zuständig. So schnell wie möglich werde ich Euch bei ihm vorstellen. Das wird Euch helfen, den Herzog auf Euch aufmerksam zu machen.«
Seine Worte ärgerten Dora. Sie kam sich vor wie ein lästiges Stück Vieh, vom Vater an den Meistbietenden verschachert. Eine spitze Bemerkung lag ihr auf der Zunge. Jörg schien das zu ahnen und mischte sich beflissen ein: »Veit ist gestern Abend erst bei uns in Königsberg angekommen. Schenkt ihm ein paar Tage Zeit, Vater, damit er sich von der anstrengenden Reise erholen kann. Gewiss wird uns Doras Gemahl so schnell wie möglich zu sich einladen.«
»Urban ist bis Sonnabend verreist«, stellte Dora kühl fest. »Es steht eine Visitation im Amt Labiau an.«
»Es
Weitere Kostenlose Bücher