Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Zahnlücke. Dora wurde warm ums Herz. Wie liebte sie diese Frau! Vielleicht waren es gerade ihre Tolpatschigkeit und ihre Hässlichkeit, die sie so für sie einnahmen. Nach dem Tod der Mutter war sie immer für sie da gewesen. »Wie schön, dass du gekommen bist«, verkündete Renata mit ihrer piepsigen Stimme. Die Hände nach vorn gestreckt, wollte sie ihr und Mathilda helfen, die Schauben von den Schultern zu nehmen. Schon auf halbem Weg aber verhedderte sie sich mit den Füßen und stolperte über einen leeren Korb. Dora wollte sie auffangen, doch Mathilda kam ihr zuvor.
»Schon gut!«, erklärte sie barsch und nahm an Renatas Stelle ihren Umhang entgegen.
»Wer seid Ihr?« Erst in diesem Moment wurde Jörg Mathilda gewahr.
»Das ist Mathilda Huttenbeck, eine Base dritten Grades meines Gemahls«, holte Dora die versäumte Vorstellung nach. »Seit vielen Jahren steht sie seinem Haushalt am Mühlenberg vor. Nach meiner Heirat ist sie freundlicherweise bei uns geblieben und hat ganz selbstlos angeboten, mich alle zwei Wochen zum Brauen hierher in die Domgasse zu begleiten. Während ich mit den Knechten am Braukessel stehe, greift sie Renata unter die Arme. Du weißt, wie nötig …«
»Das tue ich so lange, bis Euer Vater endlich einsieht, wie unerlässlich eine ordentliche zweite Magd in seinem Haushalt wäre. Lass sehen, wo wir beide heute am besten mit der Arbeit anfangen, Renata«, beeilte Mathilda sich, die eigene Unentbehrlichkeit unter Beweis zu stellen. Geschäftig schubste sie die dürre Magd zur Treppe. Verärgert sah Dora ihr nach. Wie sollte Renata je allein den Haushalt führen, wenn Mathilda stets alles an sich riss?
»Ist genug Wasser da? Hier steht noch ein leerer Bottich. Was ist damit?«, ertönte eine fremde Frauenstimme.
Verwundert drehte Dora sich zur Hintertür um und erstarrte. Im ersten Moment wähnte sie sich einer Täuschung aufgesessen. Sie rieb sich die Augen. Es änderte nichts, die Fremde ähnelte ihr wie eine Zwillingsschwester. Lediglich das bernsteingoldene Haar, das unter dem Rand der strahlend weißen Bundhaube hervorblitzte, unterschied sie von Dora. Ebenso strahlend weiß wie ihre Haube sah die Schürze der anderen aus, die sie vor das hellgrüne Kleid gebunden hatte. Auf einen Goller über den Schultern hatte sie verzichtet. Umso freizügiger gewährte der Ausschnitt ihres Mieders Einblick auf den Ansatz ihres Busens. Der fiel weitaus üppiger aus als bei Dora. Ihn so schamlos zur Schau zu stellen, gefiel ihr offenbar. Aufreizend wiegte sie sich in den Hüften, stützte die Hände in den Seiten ab.
Allein schon die Haarpracht weckte Doras Neid. Damit schien sie wie für Königsberg geboren. Ans kräftige Zupacken war sie offenbar gewöhnt, wie die rauhe Haut an den Händen und das vor Unternehmungslust gerötete Antlitz verrieten. Zwei helle blaue Augen schauten erst zu den beiden Knechten, dann zu Dora. Die linke Augenbraue zog sich nach oben. Ein leises »Oh!« entfuhr ihr, der Mund verzog sich zu einem Lächeln. Geschäftig rieb sie sich die Hände, dann strich sie wie zufällig an dem Gürtel entlang, der den schweren Schlüsselbund zum Klimpern brachte. Überrascht gewahrte Dora, dass es sich dabei um denjenigen ihrer verstorbenen Mutter Enlin handelte.
»Darf ich dir Gret vorstellen, Schwesterherz?«, erwachte Jörg aus seiner Tagträumerei und schob sich zwischen beide. Behutsam legte er der Fremden den Arm um die Schultern, zog sie ein Stück näher zu sich heran, pustete zärtlich über das wundervolle Haar. Beglückt strahlte sie ihn an. Wie Dora, so war auch sie höchstens eine Handbreit kleiner als er. »Gret und ich haben uns im Haus ihres Oheims Wolf Wurfbein in Nürnberg kennengelernt. Er führt den Krug am Frauentor gleich neben Sankt Clara. Gret ist übrigens der Grund, warum ich so lange fortgeblieben bin.« Vergnügt zwinkerte er der Blonden zu. »Ein wundervoller Grund, den ich niemals bereuen werde. Ohne sie wollte ich nicht mehr fort aus Nürnberg. Bis sie mit mir gehen konnte, dauerte es allerdings sehr lange Zeit. Doch jetzt darfst du uns gratulieren. Seit einigen Wochen sind wir Mann und Frau.«
»Was?« Dora war erstaunt. Einerseits war ihr das klar, seit sie den Schlüsselbund an Grets Gürtel entdeckt hatte. Andererseits hätte sie Jörg das Heiraten einer solchen Frau niemals zugetraut. Gret wirkte so viel zielstrebiger als er.
»Welch große Überraschung!« Mathilda, die bei Jörgs Worten auf dem oberen Treppenabsatz aufgetaucht war,
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