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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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taubstumm. Auf die wenigen Brocken Polnisch, die Dora dank Szymon kannte, reagierte sie nur mit einem Brummen. Dora bedauerte das zutiefst. Zu gern hätte sie mehr über ihren Aufenthaltsort sowie über die Frau selbst erfahren. Das über einem langen, bewegten Leben faltenreich gewordene Gesicht wie auch die gütigen, sehr wachen und klugen Augen ließen vermuten, dass sie sehr Aufschlussreiches zu erzählen hätte.
    Wieder einmal hockte Dora auf dem Schemel am Tisch, tunkte mit der Brotkrume die letzten Reste der Suppe aus der Schale und verlor sich ganz in Gedanken über die Frau, die ihr auch an diesem Morgen wie gewohnt das Essen schweigend, dabei aber gütig lächelnd gereicht hatte. Als der letzte Bissen verspeist war, schob sie die Schale fort, stützte den Kopf in die Hände und starrte zum Fenster hinaus.
    Das Fenster befand sich der niedrigen Holztür genau gegenüber an der Stirnseite der Kammer. Nach den endlos finsteren Tagen im Ratskeller erschien ihr dieser winzige Ausschnitt Welt wie die Verheißung des Paradieses. Ihr Blick kletterte die Mauer hinauf bis zum Himmel. Dem verregneten Juli war ein sonniger August gefolgt. Mehr und mehr heizte sich die winzige Kammer unter der Schräge auf. Wie eine süße Verheißung heiterer Zeiten stieg Dora der Geruch des sonnenwarmen Holzes und des trockenen Strohs in die Nase. Darunter mischte sich der Duft von reifem Obst, das unweit der Gesindeunterkünfte in den Verliesen eingekellert wurde. Unermüdlich summten Bienen durch die Luft, gelegentlich verirrte sich ein reich gemusterter Schmetterling auf ihr Fensterbrett. Morgens und abends pflegte eine Amsel darauf Platz zu nehmen, um ihren fordernden Lockruf auszustoßen. Dora konnte sich kaum sattsehen an der Fülle von Licht und Weite vor dem Fenster. Über Tage strahlte die goldene Morgensonne von einem tiefblauen Firmament, das von weißem Gewölk spärlich betupft war.
    Fröhliches Kinderlachen erinnerte Dora schmerzlich an ihre kleine Tochter im fernen Königsberg. Inständig hoffte sie, Elßlin und Renata führten Johanna auf die Wiesen vor den Mauern der Altstadt, damit die Kleine den süßlichen Duft des Heus kennenlernte und die satten Farben des Spätsommers erlebte. In Kürze würde die Hopfenernte beginnen. Im Osten des Löbenichts erstreckten sich mannshoch die Gerüste, an denen sich die riesigen Pflanzen entlangschlängelten. Der feuchte Juli musste für eine hervorragende Ernte gesorgt haben. Als das Kinderlachen lauter wurde, erhob sich Dora von ihrem Platz und durchschritt die Kammer.
    Fahrig glitten ihre Finger am Gürtel entlang. Auch auf dem Wawel hatte man ihr Geldbeutel, Besteckkästchen und vor allem das Säckchen mit der Ölphiole gelassen. Mehr als einmal schon hatte sie dank des kostbaren blauen Safts der Schafgarbe weiteren Trost gefunden. Von neuem verspürte sie den Drang, die Phiole zu entkorken und sich einen Tropfen davon auf die Handfläche zu träufeln. Je mehr die blaue Flüssigkeit in den Kerben verrann und die Gestalt jener geheimnisvollen Duftgöttin annahm, je stärker stieg der krautige Geruch daraus empor, und umso mehr Zuversicht erfüllte sie. Die innere Stimme, die ihr den noch vor ihr liegenden Weg beschrieb, war noch nicht verstummt. Sie schloss die Augen, rief sich dies alles bis in die kleinste Einzelheit in Erinnerung. Oft genügte schon der Gedanke daran, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. So konnte sie von dem kostbaren Saft sparen, wusste sie doch nicht, wie lang sie in der Kammer ausharren und wie lang ihr Vorrat reichen musste.
    Schwere Schritte vor der Tür ließen sie aufhorchen. Sie klangen völlig anders als die behutsamen, zurückhaltenden der stummen Alten. Dora öffnete die Lider, strich sich das dunkler gewordene Haar aus der Stirn und sah erwartungsvoll zur Tür. Ob endlich jemand kam, um sie vor ihren Richter zu führen? Sosehr sie diesen Moment herbeisehnte, so sehr fürchtete sie ihn zugleich. Er entschied, ob sie Johanna jemals wiedersah oder nicht, ob Veit ihr beistand oder nicht. Eine Träne stahl sich in ihr Auge. Hastig wischte sie sie weg. Im selben Moment kamen die Schritte zum Stehen, der Schlüssel rasselte im Schloss, bevor die Tür mit einem kräftigen Stoß geöffnet wurde.
    »Besuch«, blaffte ein Wachmann. Es war derselbe, der sie vor gut zehn Tagen unter Baranamis Führung auf den Wawel begleitet hatte. Sein freundliches, von einem struppigen braunen Bart halb verdecktes Gesicht verriet, dass er das keineswegs so barsch

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