Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
stieß ein »Achtung!« aus, dann war ein dumpfes Aufschlagen zu vernehmen.
Gret und Jörg starrten einander an. Dem Schwäher musste etwas Schlimmes widerfahren sein. »Guter Mann!«, ertönte auch schon Mechthilds Stimme, die im Gegensatz zu sonst alles andere als ruhig klang. Jörg machte auf dem Absatz kehrt und hastete die Treppe hinunter. Gret folgte ihm. Endlich erreichte auch sie das Ende der Treppe. Dort bot sich ihr ein furchtbares Bild.
Vor dem unteren Absatz lag Wenzel reglos da, vorwärts hingeschlagen auf die kalten Steinfliesen, den kräftigen Körper im Schmerz seltsam gekrümmt. Um den oberen Teil seines Kopfes bildete sich eine dunkelrote Lache. Zweifelsohne Blut, wie auch der metallische Geruch bewies.
»Er ist mit der Stirn gegen die Treppenkante geschlagen«, stellte Gret fest und kletterte mühsam über ihn hinweg. »Wir brauchen einen Wundarzt.«
»Ich hole die Brauknechte aus dem Keller und schicke Lienhart los«, erklärte Mechthild. »Bleibt Ihr nur bei ihm und steht ihm bei.«
Gret ging in die Knie und half Jörg, den großen Körper behutsam auf den Rücken zu drehen. Das blutverschmierte, kalkweiße Gesicht sah schrecklich aus. Dennoch zögerte Gret keinen Moment, sich den Kopf des Schwähers in den Schoß zu betten. Sie strich das blutverkrustete Haar aus der Stirn und legte die Wunde frei.
»Es sieht schlimmer aus, als es ist«, raunte sie Jörg zu. »Er atmet gleichmäßig. Gewiss wird er bald wieder aufwachen.«
»Du hast recht«, erwiderte Jörg ebenso leise. »Eigentlich hast du immer recht, Liebste.« Er lächelte sie aus seinen traurigen Augen an. »Deshalb bin ich dafür, dass du so schnell wie möglich mit Mechthild nach Krakau reist, um meiner Schwester beizustehen. Ich dagegen werde hier wohl mehr gebraucht. Schließlich sollte einer auf meinen Vater wie auch auf Lienhart und das Bierbrauen aufpassen. Lienhart ist damit absolut überfordert.«
»Noch dazu, wo auch unser kleiner Rudolph jemanden braucht, der sich um ihn kümmert.« Sie legte Jörg die Hand an die Wange.
Er drehte den Kopf, hauchte einen Kuss darauf und erklärte: »Du bist einfach die Stärkere von uns beiden.«
»Und du der Feinfühligere«, erwiderte sie.
»Deshalb ist es wohl auch besser, dass ich an Michaeli da bin, um mit dem Winterbrau zu beginnen.«
»Ein guter Plan. Lienhart und dein Vater werden dir gewiss helfen.«
Kaum hatte sie das gesagt, schlug Wenzel die Augen auf, schaute sich verwundert um und wollte sogleich Anstalten machen, sich aufzurichten.
»Bleibt liegen«, riet Gret. »Es ist höchste Zeit, dass Ihr Eure Söhne im Haus schalten und walten lasst, wie sie es für richtig halten. Vorhin im Bierkeller haben sie sich als wahre Braumeister bewiesen, die sich bestens auf ihre Kunst verstehen. Auch ist es an der Zeit, dass Ihr endlich zugebt, wie gut Euch selbst das Brauen gefällt. Vielleicht fällt Euch das leichter, wenn ihr Männer für eine Weile allein im Haus seid.«
»Jörg!«, versuchte Wenzel aufzubegehren, doch er war zu schwach, um viel Nachdruck in seine Worte zu legen.
»Sie hat recht, Vater. Ich lasse sie guten Gewissens gehen. Wenn die Barwasserin bei ihr ist, wird sie das Reisen gut vertragen. In Krakau kann sie ohnehin besser mit Dora reden als ich. Sollte sie männlichen Beistands bedürfen, wird ihr dieser Gottlieb, der den Brief geschickt hat, bestimmt helfen. Auch ist Steinhaus noch dort und kann sich für sie verwenden.«
»Danke.« Gret drückte ihm die Hand.
»Und was das Brauen betrifft«, fuhr Jörg ungerührt fort, »so hat Gret auch damit recht. Es wird Zeit, dass wir Selege-Männer uns mehr auf diese Tradition besinnen. Wie es scheint, steht die uns dreien besser an als das Bauen.«
Als er sie ansah, meinte sie, einen neuen Glanz in seinen Augen zu entdecken. Der Kummer war verschwunden. Über den Kopf seines Vaters hinweg fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Trotz aller Sorge um Dora fühlte sie sich in diesem Moment glücklich wie nie.
5
F ast hatte Dora sich daran gewöhnt, von aller Welt vergessen zu sein. Wie schon im Krakauer Stadtgefängnis unter dem Rathaus saß sie auch auf dem Wawel bereits mehrere Tage ein, ohne dass sich jemand groß um sie kümmerte, geschweige denn auftauchte, um sie zu verhören oder gar ordentlich anzuklagen. Anders als in der Stadt aber hatte man ihr überraschenderweise keinen dunklen Kerker unter der Erde zugewiesen, sondern eine Dachkammer in einer der winzigen Gesindeunterkünfte im
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