Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
schreibt er nichts«, redete Jörg weiter. »Wie soll er sie auch kennen? Ebenso wenig weiß er von ihrer Verbindung zu Veit. Wir durften ihm ihre Ankunft in Krakau schließlich nicht ankündigen, also hat er auch niemandem von ihr erzählen können. Warum sorgst du dich überhaupt um meine Schwester? Dass sie zusammen mit Steinhaus und seinem Tross wohlbehalten in Krakau eingetroffen ist, wissen wir doch längst.«
»Was?« Gret horchte auf.
»Gleich bei seiner Ankunft hat Steinhaus an seine Familie geschrieben und darin auch eine kurze Nachricht an uns mitgeschickt. Habe ich dir das nicht erzählt?«
»Das ist nicht wahr!« Mehr brachte Gret nicht heraus. Ihr schwindelte von neuem. Sie krallte ihre Finger in Jörgs Arm.
»Liebste, was ist?« Er packte sie. »Warum bist du auf einmal Doras wegen so in Sorge? Nichts an dem Brief enthält beunruhigende Nachrichten. Es könnte uns höchstens verwundern, dass dein Vetter uns nichts von seinen Plänen geschrieben hat, Krakau zu verlassen. Gewiss wird er das bald nachholen. Bislang hat er uns immer über all seine Schritte unterrichtet. Sei also ganz ruhig, meine Liebe. Alles ist in bester Ordnung.«
Liebevoll führte er sie zur Bank an der Wandseite. Seine Fürsorge hätte ihr sonst ein dankbares Lächeln entlockt, dieses Mal aber fühlte sie sich taub für jedwedes andere Gefühl als für die Angst um Dora. Einem großen schwarzen Loch gleich breitete sie sich in ihr aus.
»Schick Lienhart zu Steinhaus’ Familie«, bat sie. »Vielleicht haben sie längst Neues aus Krakau.«
»Was sollte es aufregend Neues geben?« Jörg begriff noch immer nicht. Auf einmal wich Grets Angst einer mindestens ebenso großen Wut.
»Ich muss sofort nach Krakau! Dora schwebt in allergrößter Gefahr. Der Hausvogt will ihr Übles antun und hat den Herzog überredet, an seinen Oheim auf dem Wawel zu schreiben. Veit sollte sie davor warnen, darum habe ich ihn in dem Brief vor vier Wochen gebeten. Wenn er nicht mehr in Krakau ist, hat sie dort niemanden mehr, der ihr beistehen kann. Also muss ich hin. Ich hoffe, ich komme nicht zu spät.« Sie erhob sich, eilte zur Treppe. Während sie die ersten Stufen bereits hinaufhastete, rief sie Mechthild zu: »Schick Lienhart lieber zum Gildehaus der Kaufleute statt zu Familie Steinhaus. Er soll herausfinden, wann der nächste Tross nach Krakau aufbricht, und mich dafür anmelden. Pack mir etwas zu essen ein. Je eher ich fortkomme, desto besser ist es.«
»Bist du von Sinnen?« Nach einer Verzögerung erwachte Jörg aus seiner Starre. »Du kannst nicht allein nach Krakau reisen. Denk an deinen Zustand.«
»Was lässt du dir von dem Weibsstück bieten?«, flammte im selben Moment auch Wenzels Zorn wieder auf. »Du bist der Mann im Haus. Du musst ihr sagen, was sie zu tun und zu lassen hat.«
Gret kümmerte sich nicht um das Geschrei. Ihr Entschluss stand. Ehe sie das Obergeschoss erreichte, hatte Jörg sie allerdings eingeholt und hielt sie zurück.
»Bleib!«, keuchte er. »Ich verbiete dir, das Haus zu verlassen.«
»So?« Eine ungewohnte Ruhe überfiel sie. Sein verzweifelter Versuch, der Aufforderung seines Vaters nachzukommen, rührte sie. Sie wusste, dass er ihr nicht wirklich zürnte. Zu oft schon waren sie aus verschiedenen Anlässen aneinandergeraten, zuletzt kurz vor Doras Abreise der neuen Brauweise wegen. Jedes Mal aber hatte sich Jörg am Ende einsichtig gezeigt, dass sie, anders als er, Mut zu neuen Wegen und ungewöhnlichen Taten aufbrachte. Genau deswegen hatten sie zueinandergefunden. Sie lächelte ihn an. Wie liebte sie den kummervollen Ausdruck auf seinem weichen Gesicht, wie sehr sehnte sie sich danach, ihm um den Hals zu fallen und ihn fest an sich zu drücken.
»Jörg! Sag endlich etwas!«, schrie Wenzel von unten herauf. Gret beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Mechthild den Arm hob, um ihn zu besänftigen.
»Warum begleitest du mich nicht einfach?«, schlug Gret Jörg vor. »Es geht um deine Schwester. Sie schwebt in großer Gefahr. Gemeinsam können wir ihr viel besser helfen als ich allein.«
»Ich weiß nicht …«, setzte Jörg an, hob ratlos die Hände. Deutlich war ihm anzusehen, wie stark es hinter seiner blassen Stirn arbeitete. Seine rehbraunen Augen blickten hilflos, die Schultern sackten nach vorn, wie so oft, wenn er sich einer Sache unsicher war.
»Jörg, verd…«, brüllte der Schwäher von unten, um ebenfalls mitten im Wort abzubrechen. Ein seltsames Röcheln hallte durch die Diele. Mechthild
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