Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Sie fühlte sich außerstande, den Gruß zu erwidern. Wenn er ihr jetzt auch noch die Hand reichen oder gar in die Augen sehen würde, würde sie im Erdboden versinken. Der Gedanke, in welcher Situation ihr sein Name zuletzt entschlüpft war, raubte ihr schier den Verstand. Zugleich spürte sie wieder dieses innere Feuer in sich auflodern.
»Du darfst uns gratulieren«, verkündete Jörg mit stolzgeschwellter Brust. »Tschakert hat uns gerade den Auftrag für den Umbau seines Hauses erteilt. Veit wird Vater und mir dabei zur Hand gehen. Gestern noch haben wir fleißig am Entwurf gearbeitet, eben hat Tschakert ihn für äußerst gelungen erklärt.«
»Das freut mich«, brachte Dora mühsam heraus. Die Augen auf den Bruder gerichtet, spürte sie, wie Veits Blick auf ihr haftete.
»Du siehst, wir haben alle Hände voll zu tun.« Der Vater tat geschäftig. »Im Frühling wird fleißig zu Maurerkelle und Zimmermannsaxt gegriffen. Rund um das Schloss und in den Königsberger Städten gibt es einiges zu richten. Gut, dass Jörg aus Nürnberg zurückgekehrt ist, um bei den anstehenden Aufträgen mit anzupacken. Auch die helfende Hand seines Freundes nutzt uns sehr. Dein Gemahl hat uns für heute Nachmittag zu sich in den Mühlenberg gebeten. Gewiss will er Veit Singeknecht kennenlernen, damit sich unser Freund bald am herzoglichen Hof als Baumeister vorstellen kann. Hofbaumeister Römer hat wohl neue Pläne für den weiteren Ausbau des Schlosses vorgelegt und wird dabei auch so erfahrene Baumeister wie mich gern zu Rate ziehen. Hat dein Gatte dir gegenüber schon etwas verlauten lassen?«
»Bitte?« Dora versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie die Nachricht von Urbans Einladung überraschte. Kein Wort hatte er am Morgen darüber verloren, streng genommen hatte er in den letzten beiden Tagen ohnehin kaum ein Wort an sie gerichtet. »Ich freue mich, wenn Ihr unsere Gäste seid«, rang sie sich zu einer Erwiderung durch. »Bleibt Ihr zum Abendessen? Zwar wird bei uns mittwochs wie bei Hofe Fisch gereicht, doch Ihr kennt Mathildas Künste, selbst aus dem trockensten Stockfisch ein fürstliches Mahl zu bereiten. Darben werdet Ihr also ganz sicherlich nicht.«
»Du hast mich falsch verstanden«, stellte der Vater fest. »Bei unserem Gespräch geht es allein um geschäftliche Belange. Dein Gemahl und wir haben unter Männern zu reden.«
»Gewiss findet sich bald eine Gelegenheit, in den Genuss Eurer hochgeschätzten Gastfreundschaft zu gelangen«, schaltete sich Veit mit einem Lächeln ein, das ihr den Atem raubte. »Gerade erst eine Woche bin ich hier am Pregel. Wenn Euer Vater einverstanden ist, werde ich die Gastfreundschaft Eurer Familie gern für einige Monate nutzen. Wo, wenn nicht in den drei Städten Königsbergs sowie am Hofe Herzog Albrechts, können sich die Künste derzeit in voller Pracht entfalten? In Preußen herrscht eine Aufbruchstimmung, wie wir Künstler sie uns gern erträumen.«
Der Vater begleitete Veits Schwärmerei mit einem misslichen Brummen, Jörg schmunzelte still in sich hinein. Auf einmal wusste Dora: Wollte sie ihr Seelenheil retten, sollte sie dem Vater zutiefst dankbar sein, sie von der anstehenden Begegnung fernzuhalten. Veit Singeknecht war ihr Verderben. Um ihren sicheren Untergang zu verhindern, musste sie ihm fortan tunlichst aus dem Weg gehen.
8
D er Gestank nach altem Fisch durchzog das gesamte Haus. Selbst bei geschlossener Tür war er in der Wohnstube noch gut zu riechen. Angewidert verzog Mathilda das Gesicht. So kurz nach dem Mittagessen fand sie den Geruch besonders unerträglich. Ebenso unerträglich fand sie allerdings auch, dass Urban in der Wohnstube saß und arbeitete. War es schon seltsam, dass er ohne Vorankündigung zum Mittagessen im Haus aufgetaucht war, so war es noch eigenartiger, dass er danach keine Anstalten machte, in die Rentkammer aufs Schloss zurückzukehren. Wie selbstverständlich war er nach dem Ende des Mittagsmahls sitzen geblieben und hatte seine Schreibutensilien auf dem frei gewordenen Tisch ausgebreitet. Von dem Gestank schien er ebenso wenig etwas zu bemerken wie von Mathildas Empörung darüber. Vertieft in seine Schreiberei, thronte er auf seinem gewohnten Platz am Tischende. Das emsige Kratzen der Feder auf dem rauhen Papier verriet, wie eilig er es mit seinen Aufzeichnungen haben musste.
»Wie haltet Ihr das nur aus?«, fragte sie ihn nach einer Weile und tat, als müsste sie nah bei ihm den Tisch wischen. Wie zufällig stieß sie
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