Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
verbeugte sich artig. Sie meinte, die Zeit hätte stillgestanden. Als er den Kopf hob und sie ansah, war es, als wäre sie wieder ein zwölfjähriges Mädchen und träte dem Rechtsgelehrten Veit Singeknecht gegenüber. Fast hätte sie artig wie ein kleines Kind vor ihm einen Knicks gemacht. »Ihr seht Eurem Vater sehr ähnlich.«
»Das sagen viele«, entgegnete er. »Umso besser, dass ich nicht in seine Fußstapfen getreten bin und mich ebenfalls der Rechtswissenschaft gewidmet habe. Das hätte nur für weitere Verwirrung gesorgt.«
»Auch wenn es das Beste ist, dass der Sohn dem Weg des Vaters folgt, wie zumeist schon der Vater dem seines Vaters gefolgt ist.« Wenzel Selege klopfte seinem Sohn Bestätigung heischend auf die Schulter. Der aber zog seinen Kopf noch tiefer zwischen die Schultern.
»Manchmal muss der Sohn sich auch vom Vater lösen und eigene Wege ausprobieren.« Von ihnen allen unbemerkt, war Urban aus der Wohnstube gekommen und begrüßte die Besucher ebenfalls.
Mathilda entging nicht, wie Wenzel Selege auf die Bemerkung reagierte. Schlagartig verfinsterte sich sein Antlitz. Erst als er ihres Blickes gewahr wurde, fasste er sich wieder und rang sich ein zustimmendes Lächeln ab.
»Seid froh, meine Liebe, dass Ihr als Frau solcher Verpflichtungen enthoben seid und von Anfang an wisst, was genau Eure Bestimmung auf Erden ist.«
»Lasst uns nicht im Flur solch tiefschürfende Gedanken austauschen. Kommt lieber in meine Stube, damit wir in Ruhe miteinander reden können.« Einladend breitete Urban die Arme aus und wies auf die weit offenstehende Tür. Wenzel folgte seiner Aufforderung sogleich, Jörg zögerte jedoch und drehte sich zu Veit um. Auch Mathilda wunderte sich auf einmal, warum der junge Singeknecht nicht gleich nachkam. Als sie zu ihm sah, stutzte sie. Veit war zurück zur Treppe gegangen und schaute dort mit einem verzückten Lächeln hinauf. Mathilda folgte seinem Blick. Gerade noch nahm sie wahr, wie Dora sich auf der halben Treppe nach oben umdrehte und auf leisen Sohlen ins zweite Geschoss verschwand.
Erster Teil
(2)
Königsberg
Frühjahr 1544
9
V oller Erwartungen betrat Dora die Junkergasse. Sie wollte den linden Frühlingsmorgen nutzen, um sich einige der neuen Häuser anzusehen. Von dem ein oder anderen konnte sie gewiss etwas für ihre eigenen Entwürfe lernen. Urban fragte immer ungeduldiger danach, dabei stand es weiterhin in den Sternen, wann und ob der Herzog ihm überhaupt je das seit langem in Aussicht gestellte Grundstück übertrug. Das fröhliche Zwitschern der Vögel ließ sie ihre trüben Gedanken rasch vergessen. Gutgelaunt schritt sie aus.
In einem leichten Bogen führte die Junkergasse nordwärts vom Schloss weg zu den herzoglichen Gärten hinüber. Somit lag sie bereits außerhalb der Stadtmauern und gehörte zur Burgfreiheit. Dank Albrechts Großzügigkeit hatten sich dort in den letzten Jahren vor allem hochrangige Hofbedienstete sowie einige von ihm besonders privilegierte Handwerker wie etwa der ehemalige Danziger Druckermeister Hans Weinrich oder der Buchbinder Kaspar Angler und der herzogliche Leibarzt Andreas Aurifaber, Breslauer Eidam des vielgerühmten Osiander, niedergelassen. Albrecht liebte es, als Dank für jahrelange treue Dienste Grundstücke an seine Untergebenen zu verschenken. Umso bitterer war es für Urban, als herzoglicher Kammerrat und einer der engsten Vertrauten Albrechts bislang leer ausgegangen zu sein. Die Hofstellen in der Junkergasse außerhalb der drei eigentlichen Städte Königsbergs besaßen den Vorteil, weitaus großzügiger vermessen zu sein als diejenigen innerhalb der Stadtmauern. Das erlaubte eine weitaus prachtvollere Bauweise, insbesondere, was die Breite der Gebäude betraf. Viele von ihnen besaßen statt eines schlichten Hofs sogar einen kunstvoll angelegten Garten, der durch einen eigenen Torbogen neben dem Haus betreten werden konnte. Über die Torbögen nach draußen wuchernde Sträucher ließen vermuten, wie üppig diese grünen Oasen im Innern gediehen. Sie lockten Scharen bunter Vögel an, wie das Gezwitscher der Spatzen verriet, unter das sich auch das abwechslungsreichere Singen der Drosseln und das bestimmte Rufen der Meisen mischten.
Vor dem Anwesen von Druckermeister Hans Weinrich blieb Dora stehen, ließ den Blick ihrer verschiedenfarbigen Augen über den roten Backsteinbau wandern. Im Vergleich zum benachbarten Haus von Buchbindermeister Kaspar Angler wirkte es erstaunlich schlicht. Wie auf den
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