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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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erkennt man den Plan der einstigen Lokatoren sehr gut.« Veit hatte sie erreicht und stellte sich so dicht neben sie, dass sein Atem sie im Nacken kitzelte. Durch den Stoff ihres Kleides spürte sie die Wärme seines Leibs. Zärtlich wisperte er ihr ins Ohr. Sie erstarrte, wagte kaum, Luft zu holen, derart verwirrte sie die verbotene Nähe. »Warum zeigt Ihr mir erst die Ferne und nicht das Naheliegende?«
    »Das seht Ihr wohl schon selbst am besten.« Durch eine geschickte Drehung entwand sie sich und hastete über die Holzplanken weiter um den Baumstamm herum. Direkt neben der Treppe, wo kaum Äste und Laub den Steg verhüllten, blieb sie stehen, wartete auf Veit. Langsam schlenderte er auf sie zu, die Hände hinter seinem Rücken verschränkt, den Blick träumerisch in die Weite gerichtet. Wenige Schritte vor ihr blieb er ebenfalls stehen, blickte allerdings weiter über die Ebene. Sosehr ihr gerade noch die Nähe zu viel gewesen war, so sehr bedauerte sie nun, dass er ihren Wunsch beherzigt hatte und fortan auf gebührenden Abstand zwischen ihnen achtete.
    »Die Aussicht ist wahrlich großartig«, stellte er fest und hob wie beiläufig die linke Hand an die Stirn, um die Augen gegen die Sonne abzuschirmen. »Von den oberen Geschossen aus sieht man wohl ganz über das Schloss und den Kneiphof hinweg zum Haberberg. Im Westen mag der Blick vielleicht sogar bis zur Pregelmündung reichen. Vermutlich habt Ihr es zu eilig, um mich bis ganz nach oben zu begleiten. Mir steht es nicht an, Euch von Euren Aufgaben zu Hause länger fernzuhalten.«
    Auf seinem Gesicht lag tiefes Bedauern. In seinen grünbraunen Augen schimmerte Trauer. Es fiel ihr schwer, ihm nicht tröstend in die Arme zu fallen. Die Vernunft jedoch gebot ihr, sich zurückzuziehen. »Achtet beim Hinaufsteigen auf lose Bretter. So manch einer ist einem Tritt ins Leere zum Opfer gefallen. Lebt wohl!«
    Damit eilte sie an ihm vorbei die schmale Treppe hinunter. Sie war froh, ebenfalls auf ihre Schritte aufpassen zu müssen. So widerstand sie der Versuchung, sich noch einmal umzudrehen. Es reichte schon, seinen sehnsüchtigen Blick sich auf dem Rücken einbrennen zu spüren.
    10
    V on der Uhr am nahen Dom schlug es zehn. Gret stöhnte. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, um die Regale in der Werkstatt zu durchstöbern. Spätestens gegen Mittag würden Jörg, der Schwäher Wenzel sowie Vetter Veit von Tschakerts Baustelle in der Langgasse heimkehren. Dabei wollte sie unbedingt mehr über die Familie ihres Gatten sowie über ihre Tätigkeiten in den Königsberger Städten wissen. Das, was Jörg ihr bislang erzählt hatte, war sehr lückenhaft. Polyphemus’ rätselhafte Andeutungen über den Urahn Laurenz sowie das eigentümliche Verhalten von Jörgs Schwester Dora hatten ihre Neugier geweckt. Es war, als gäbe es da noch einiges Wissenswerte zu erfahren. Doch weder Jörg noch der Schwäher durfte sie in der Werkstatt antreffen. Sie galt als das Allerheiligste im Haus. Wenzel erlaubte der Magd Renata lediglich einmal in der Woche, notdürftig darin sauber zu machen. Dabei hätte es der große Raum im zweiten Obergeschoss mehr als nötig, bis in den letzten Winkel gründlich geputzt und aufgeräumt zu werden.
    Erbarmungslos schien die Vormittagssonne durch das Seitenfenster, legte die Staubflocken auf den breiten Dielen bloß, ließ das Holz des mächtigen Tresors an der zweiten Seitenwand grau schimmern. Dick bedeckte der Staub die einstmals prächtigen Drechselarbeiten an den verschlossenen Türen. Gret fluchte leise, wenn sie sich vorstellte, dass ihr das Innere des Schranks wohl vorenthalten blieb. Sämtliche Schlüssel ihres Bundes, der einstmals Wenzels Frau Enlin gehörte, hatte sie bereits ausprobiert. Vergeblich. Ob Jörg einen besaß? Längst hätte sie den bei ihm entdeckt, kannte sie doch inzwischen selbst die geheimsten Verstecke des Gemahls oben auf dem Speicher zwischen den losen Dachbalken oder unten im Vorratskeller zwischen den gelockerten Mauersteinen.
    Sie richtete sich auf, stemmte die Hände in den Rücken und streckte sich. Erschöpft sah sie über die verschiedenen Regalböden. Höchstens die Hälfte davon hatte sie bislang geschafft. Ihr Blick streifte ein dickes Buch, das in Augenhöhe quer im Regal lag. Einige Bogen Papier sowie mehrere Rollen Pergament bedeckten es, weshalb es erst auf den zweiten Blick auffiel. Vorsichtig schob sie die oben aufliegenden Blätter beiseite. Allein schon die Dicke und das Format des Bandes unterschieden ihn

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