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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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von den anderen. Zudem war es in weißes statt wie die anderen Bücher in braunes Leder eingebunden, der Titel am Rücken mit goldenen Lettern eingeprägt.
    Sie hob das Buch behutsam heraus, pustete den Staub ab, musste husten. Offenbar war lange nicht mehr darin gelesen worden. Voller Erwartung schlug sie es auf. Sofort stieg ihr der trockene Modergeruch, vermischt mit süßlichem Blumenduft, in die Nase. Es kitzelte furchtbar, sie nieste. Gepresste Rosenblätter sowie die Reste einiger anderer nicht mehr erkennbarer Blumen wirbelten durch die Luft, rieselten lautlos wie Schneeflocken im Winter zu Boden. Entsetzt machte sie sich daran, sie aufzusammeln und wieder zwischen die Seiten zu legen. Dann blätterte sie ganz nach vorn.
    Auf dem Vorsatzblatt fand sich ein kunstvoll in Gold, sattem Grün und leuchtendem Rot gestaltetes Exlibris. Wesen aus der Fabelwelt sowie Rosen, Blätter und Ornamente rankten sich um die ineinander verschlungenen Buchstaben G und F. Das Titelblatt auf der nächsten Seite kündigte dem Leser die herrlichsten Gesänge sowie wundersame Geschichten von Helden aus der fernen Vergangenheit an. Die Ecken der folgenden Seiten waren stark abgegriffen, das Papier mitunter speckig, was auf eifrigen Gebrauch schließen ließ. Gebannt betrachtete Gret die Zeichnungen und Verzierungen, von denen der zweispaltig gesetzte Text immer wieder unterbrochen wurde. Mutige Ritter auf stolzen Pferden, das Schwert gegen einen feuerspeienden Drachen oder einen finster aussehenden Gegner erhoben, fanden sich darin ebenso wie anbetungswürdig schöne Damen, in die prächtigsten Kleider gewandet, vor denen ein nicht minder prächtiger Mann kniete, den Kopf demütig geneigt, die Hand aufs Herz gelegt. Aus jedem Pinselstrich sprach eine Lebendigkeit, die Gret das Herz rührte. Kaum musste sie die Texte lesen, erzählten doch auch schon die Bilder genug von dem, wovon es handelte – von gefährlichen Abenteuern und hoher Minne. Je weiter sie darin blätterte, je mehr wuchs ihre Begeisterung. An einer Seite mit verschiedenen Sprüchen blieb sie hängen. Mehrere Stengel getrockneter Schafgarbe lagen dazwischen. Neben dem Vierzeiler »Gute Nacht, schöne Schafgarbe,/Dreimal Gut’ Nacht für dich,/Ich hoffe, noch vor dem Morgengraun/Werd ich meinen Liebsten schau’n« hatte jemand ein dickes Ausrufezeichen gesetzt. Gret schmunzelte. Der Brauch, mittels der vom Grab eines Jünglings gepflückten Schafgarbe das Antlitz des Liebsten zu träumen, war ihr bestens vertraut. Mehr als einmal hatte sie es selbst ausprobiert, dabei allerdings keinen Erfolg gehabt. Jörg hatte sie zum Glück auch ohne Schafgarbentraum gefunden, und bislang hatte sie nicht den geringsten Anlass, an ihrer Liebe zu zweifeln. Versonnen strich sie über die vom langen Trocknen brüchig gewordene Schafgarbe und malte sich aus, wer aus der Familie sich ihre Hilfe wohl erhofft hatte.
    »Was tust du da?«
    Wie aus dem Nichts stand Jörg vor ihr. Erschrocken schlug sie das Buch zu, ließ es dabei fast zu Boden fallen. Im letzten Moment gelang es ihr, es mit zittrigen Händen festzuhalten und die spärlichen Reste der getrockneten Blumenblätter zwischen die Seiten zurückzuschieben.
    »I-I-I-Ich w-w-w-w-wische S-S-S-Staub«, krächzte sie, um sich dann jedoch wieder auf ihre Würde als Gattin und Hausfrau zu besinnen und in festem Ton zu erklären: »Kennst du dieses Buch? Eine wahre Schatztruhe! Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, etwas derartig Kostbares in der Werkstatt deines Vaters zu finden.«
    »Nie im Leben solltest du hier oben in der Werkstatt meines Vaters überhaupt etwas suchen, geschweige denn finden.« Jörg nahm ihr das Buch aus der Hand, betrachtete es von allen Seiten, schlug es auf. Seine breiten Hände erschienen ihr viel zu grob für ein Buch wie dieses, wenn er damit auch das schwere Gewicht und die großen Seiten weitaus besser handhaben konnte als sie. Unruhig wanderte sein Blick über die Zeilen, verweilte gelegentlich auf einer Zeichnung, verfolgte die Schwünge der Ornamente, die sich von den Initialen die Seitenränder entlangzogen. Bald spielte ein zartes Lächeln um seine Mundwinkel, ein Leuchten glomm in seinen Augen auf. Ihn einmal derart verzückt zu sehen, hätte sie sich nie erträumt, noch weniger, Verse als Auslöser einer solchen Regung zu vermuten. Neugierig reckte sie sich auf die Zehenspitzen und erspähte die ersten Worte, an denen er hängengeblieben war: »Dû bist mîn/ich bin dîn …« Am liebsten wäre

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