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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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kniete neben einem Verletzten auf dem Pflaster nieder und deckte ihn zu. »Durst!«, krächzte er heiser. Dora beugte sich vor, konnte in dem rußgeschwärzten Antlitz kaum erkennen, ob es ein alter oder junger Mensch, eine Frau oder ein Mann war. Stumm nickte sie, erhob sich und sah sich um, ob sie jemanden mit einer Kanne Bier oder Wein erwischte. Da erst fielen ihr die geordneten Reihen auf, die sich von der Schmiedebrücke kommend jeweils zu den Brunnen in den vier Ecken des langgezogenen Marktplatzes zogen. Als hätten die Leute nie etwas anderes getan, reichten sie in Windeseile leere Eimer von Hand zu Hand, um sie gefüllt wieder zurückzugeben.
    »Aus dem Weg!«, rief eine dunkle Stimme. Mit grimmigem Blick schob sich ein schwarzbärtiger Mann vorbei, dicht gefolgt von zehn nicht minder grimmig schauenden Bürgern. Haken und Schaufeln geschultert, steuerten sie im Gleichschritt die am südwestlichen Ende des Platzes gelegene Gasse zur Krämerbrücke an. Jemand schob einen mit Fässern und Decken bepackten Karren hinterher, ein Zweiter folgte mit einem Karren voller Sand. Dora nutzte die Schneise, die sie ins Getümmel auf dem Platz zogen, um sich ebenfalls durch das Gedränge zu kämpfen, bis sie endlich auf eine Frau stieß, die ihr eine Kanne Bier reichte.
    »Gut, dass auch Ihr da seid, Stöckelin.« Die Frau fasste sie am Handgelenk. Verwundert sah Dora sie an, fühlte sich jedoch außerstande, das von Ruß und Schmutz übersäte Gesicht mit jemand Bekanntem in Einklang zu bringen. »Euer Gemahl hat es vorhin richtig gesagt: In dieser Nacht können wir jede helfende Hand gebrauchen. Beruhigend, dass wir einen so besonnenen Mann unter uns haben. Im Gegensatz zu den Ratsherren hat er gleich gewusst, was zu tun ist, und jedem den für ihn besten Platz zugewiesen. Nur so werden wir es schaffen, das Unglück zu meistern.«
    Sie drückte ihr die ganze Kanne gegen die Brust und wandte sich bereits wieder ab, um im Gewühl zu verschwinden. Ein paar Schritte eilte Dora ihr nach, wollte sie nach Urbans Verbleib fragen, längst aber war die Unbekannte damit beschäftigt, mit zwei anderen Frauen einen Schwerverletzten auf eine Trage zu hieven.
    »Durst!« – »Meine Kehle brennt!« – »Ich kriege keine Luft!« Die Schreie rissen Dora aus der Starre. Kaum gelang es ihr, auf dem Rückweg zu dem ersten Verletzten, den sie mit ihrer Schaube bedeckt hatte, ausreichend Bier in der Kanne aufzuheben, zu viele andere begehrten unterwegs ebenfalls einen Schluck des kostbaren Nasses. Schließlich kniete sie wieder neben dem Ersten nieder und setzte ihm das Bier an die ausgetrockneten Lippen. »Langsam!«, mahnte sie ihn, in winzigen Schlucken zu trinken. Dankbar blickten sie seine Augen an. Plötzlich meinte sie ihn wiederzuerkennen. War das nicht Schuhmacher Jobst aus der Goldgasse? Die lag nah bei der Domgasse, wo ihr Elternhaus stand. Vorsichtig wischte sie ihm den Schmutz aus dem Gesicht. Zum Vorschein kam tatsächlich das Antlitz des Schuhmachers. »Erkennt Ihr mich? Ich bin es, Dora Stöckelin, die Tochter von Wenzel Selege aus der Domgasse.«
    »Die Stöckelin? Euch schickt Gott, der Herr!« Langsam kam wieder Leben in das eben noch von Todesangst gezeichnete Gesicht.
    Dora atmete auf. War es Schuhmachermeister Jobst gelungen, der Hölle im Kneiphof zu entfliehen, bestand Hoffnung, dass auch dem Vater und den Brüdern Gleiches gelungen war. Ziellos schweifte ihr Blick über den Platz. Der gewaltige Feuerschein über dem Kneiphof hatte auch mitten in der Altstadt die Märznacht vorzeitig beendet. Plötzlich röteten sich ihre Wangen vor Scham. Bei all ihrer Angst um die Brüder und den Vater hatte sie die Schwägerin völlig vergessen. Und nicht nur sie, auch Veit Singeknecht hatte sie aus ihrem Bangen um die vom Feuer Heimgesuchten ausgeschlossen. Ihre Augen blieben an den Resten des Scheiterhaufens hängen, der am Nachmittag für das Winteraustragen errichtet worden war. Zugleich erinnerte sie sich an ihren Wunsch, die Flammen würden das Traumgespinst mitsamt ihrer verbotenen Sehnsucht nach Veit vernichten. War sie zu weit gegangen?
    »Dora, mein Augenstern!« Sie fuhr auf. Vor ihr stand Urban, die Arme weit ausgebreitet. Auf zittrigen Knien erhob sie sich und fiel ihm in die Arme. »Das ist gut, dass Ihr helft. Es wird den Leuten Mut machen, wenn sie meine Frau als rettenden Engel vor sich sehen.«
    Er strich ihr über den Kopf. Seine Worte behagten ihr wenig. Als sie zu ihm aufsah, entdeckte sie jedoch dasselbe

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