Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Mägde halfen der Hausfrau beim Kochen. Töpfe klapperten, Fleisch wurde geklopft, Gemüse geputzt. Eine der Frauen summte leise vor sich hin, die beiden anderen verrichteten schweigend ihre Arbeit. Der Duft nach Braten und Suppe besaß etwas Heimeliges. Wie sehnte sich Dora auf einmal nach Mathilda und Elßlin, die drüben am Altstädter Mühlenberg gewiss gerade ähnlich geschäftig am Herd hantierten. Rasch lief sie den Flur weiter. An der Flügeltür zur Wohnstube wartete Tschakert bereits auf sie. Aufmunternd tätschelte er ihr den Arm, dann öffnete er.
»Besuch, mein Lieber!«, flötete er in den Raum hinein. Dora wunderte sich über seine zuvorkommende Art einem erst zehnjährigen Knaben gegenüber. Andererseits hatte Tschakert sich auch ihr gegenüber sehr fürsorglich gezeigt. Offenbar schätzte er sowohl ihren Gemahl als auch ihre gesamte Familie sehr. Sie holte Luft, breitete die Arme aus und wollte ihrem jüngeren Bruder freudig entgegenstürzen.
»Dora!«
Jäh hielt sie inne. Die Stimme kam ihr vertraut vor, zu vertraut, wie sie im nächsten Moment entsetzt feststellte. Plötzlich war es wieder da, was sie seit der letzten erfüllenden Begegnung mit Urban so erfolgreich aus ihrem Kopf verdrängt hatte – das Traumgespinst. Nur dass Veit Singeknecht in diesem Augenblick kein Traum war, sondern leibhaftig in einem Armlehnstuhl im Erker der Tschakertschen Wohnstube saß und ihr erwartungsvoll entgegensah.
»Veit, Ihr?« Langsam ließ sie die Arme sinken, suchte nach Worten, während sie ihn verwirrt anstarrte.
»Leider habe ich Euren Rat letztens nicht befolgt und wohl nicht sonderlich gut auf mich aufgepasst.« Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. Deutlich war ihm der Schmerz anzusehen, den ihm das bereitete.
Sie schaffte es nicht, etwas Geistreiches zu erwidern. Sein Anblick war einfach nur erbarmungswürdig. Das kurze helle Haar stand wild vom Kopf ab, war auf der linken Seite teilweise versengt. Das linke Auge war angeschwollen, knapp darunter fand sich eine frisch genähte Platzwunde. Die Wangen waren eingefallen, von blonden Bartstoppeln übersät. Um die Mundwinkel klebten Reste von Blut. Wahrscheinlich hatte er sich beim Versorgen seiner Wunden zu stark auf die Lippen gebissen. Zumindest aber den Ruß hatte ihm jemand wohl noch vor dem Eingriff des Wundarztes aus dem Gesicht gewischt. Dafür legte seine Kleidung ein erschütterndes Zeugnis seiner Erlebnisse ab. Die Ärmel des Faltrocks waren zerrissen, der Stoff mit Flecken verschiedenster Art übersät. Ebenso waren die Kniehose wie die Strümpfe kaum mehr länger zu tragen, die Schuhe von Staub und Asche verdreckt. Wie von Tschakert bereits erwähnt, hatte man Veits linken Arm bandagiert und mit Stöcken geschient. So ruhte er auf der Lehne des Stuhls. Jede unbedachte Bewegung verursachte ein gequältes Seufzen. Trotz alledem aber spürte Dora sofort wieder den Sog, sich ihm entgegenzuwerfen.
»Was habt Ihr nur getan?«, stieß sie mühsam beherrscht hervor, bevor sie sich hastig zu Tschakert umdrehte und stammelte: »W-W-W-Wo ist Lienhart, m-m-m-mein kleiner Bruder? Ich dachte, Ihr hättet ihn gefunden?«
»Lienhart?« Tschakert schaute überrascht. »Ich dachte, das wüsstet Ihr längst. Der ist zusammen mit Eurem älteren Bruder über die Krämerbrücke in die Altstadt. Jörg will den Kleinen zu Euch an den Mühlenberg bringen.«
»Das hättet Ihr mir gleich sagen müssen.« Dora merkte, wie ihr die Knie weich wurden. Erschöpft sank sie auf einen Stuhl, den der Kaufmann ihr hinschob. So saß sie Veit plötzlich direkt gegenüber und konnte seinem drängenden Blick nicht mehr ausweichen.
15
W ie immer setzte Mathilda sich als Letzte. Dabei wanderten ihre Augen noch einmal prüfend über die dampfenden Schüsseln und Platten auf der Tafel, bevor sie wie zufällig über die Gesichter der Anwesenden streiften. Zur Vesper strahlte die Abendsonne von der Schlossseite her in milchig mildem Licht durch die drei großen Fenster in die Wohnstube von Urbans Haus. Mathilda hatte einen Platz an der Wandseite eingenommen, die Gesichter der ihr Gegenübersitzenden lagen im Schatten, um ihre Köpfe zauberte das Sonnenlicht einen gleißenden Schimmer.
Zu acht saßen sie am Tisch. Durch den Brand im Kneiphof obdachlos geworden, hatten Wenzel Selege und seine beiden Söhne mitsamt der Schnur Gret sowie ihrem Vetter Veit Singeknecht Urbans Einladung, vorübergehend im Haus am Altstädter Mühlenberg Obdach zu finden, nur zu gern
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