Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
nachlässig durchgewunken wurden. Dagegen untersuchten die Wachen umständlich jedes einzelne Packstück der Bauleute. Kein Wunder, dass die Holzbrücke unter dem Stau bedrohlich knarzte, als wollte sie gleich einstürzen. Der schmale, von einem Tonnengewölbe beherrschte Gang direkt dahinter stellte ein weiteres Mauseloch dar, um die Massen aufzuhalten. Jeder einzelne Schritt darin dröhnte wie ein Paukenschlag. Die eisenbeschlagenen Räder der Fuhrwerke knirschten über das Pflaster, dass einem die Ohren schmerzten. Darüber schoben sich die aufgeregten Stimmen, die sich flugs über den neuesten Klatsch bei Hofe verständigten oder über die Wachen schimpften.
Gret hatte den Eindruck, eine der wenigen zu sein, die sich nicht sonderlich gut im Innern des herzoglichen Hofes auskannten. Unschlüssig blieb sie gleich nach dem Torgang stehen. Sofort wurde sie verärgert von den geschäftigen anderen Schlossbesuchern beiseitegeschubst. Äußerst vage erinnerte sie sich, wie Polyphemus sie letztens zu einem der ersten Eingänge auf der linken Hofseite geführt hatte. Ihre kurzen Finger umklammerten den schweren Folianten, den sie bei sich trug. Wie ein Schutzschild hielt sie das Buch vor die Brust. Sein weißgefärbtes Leder wies deutlich sichtbare Brandspuren auf. Auch die Goldprägung am Buchrücken hatte unter dem Unglück im Kneiphof vor knapp drei Wochen stark gelitten. Brandgeruch hing immer noch in den Seiten.
Gret schätzte sich glücklich, an die Rettung des kostbaren Schatzes gedacht zu haben. Weder ihr Schwäher noch ihr Gemahl schienen es zu vermissen, selbst Schwägerin Dora, von der sie vermutete, eine eifrige Leserin des Buches gewesen zu sein, fragte nicht danach. Offenbar hielten alle es für verbrannt. Umso leichter war es für Gret gewesen, das Buch heimlich an sich zu bringen, um damit auf dem Schloss von dem geschwätzigen Polyphemus mehr über die Nürnberger Jahre des Herzogs zu erfahren. Eine zarte Ahnung beschlich Gret, damit genau die Fährte aufgenommen zu haben, die sie letztlich zu dem gut gehüteten Geheimnis ihres leiblichen Vaters führen würde. Andeutungen ihres Nürnberger Oheims bestärkten sie seit langem in der Vermutung, der müsse aus dem fränkischen Umfeld der früheren Deutschordensleute in Königsberg stammen.
Voller Erwartung sah Gret sich um. Beidseits des weitläufigen Schlosshofes wuchsen mehrgeschossige Gebäude empor. Die schlicht gehaltenen Fassaden waren lediglich von regelmäßig angeordneten quadratischen Fenstern durchbrochen. In der Mitte des Hofes beherrschte ein Brunnen den Platz, rundherum sammelten sich Händler und priesen die verschiedensten Waren an, angefangen bei den ersten Kräutern und Blumen des Frühlings über Stoffe, Bänder und Haarschmuck bis hin zu geflochtenen Körben, kleinen Fässern und Truhen. Ein Seiltänzer versuchte sein Seil zwischen zwei Wagen aufzuspannen, ein Zwerg in buntem Narrenkostüm half ihm dabei. Fröhlich sich um die eigene Achse drehend, verlor er das Gleichgewicht und prallte gegen eine Wahrsagerin. Rückwärts radschlagend entkam der Kleinwüchsige ihrem wütenden Geschrei und drehte ihr aus sicherer Entfernung eine lange Nase. »Scher dich fort, du Ausgeburt der Hölle!«, schimpfte die Frau, woraufhin sie jemand rüde zur Ordnung rief. »Nur weil die Herzogin die Zwerge liebt, muss ich mir von der Missgeburt nicht auf dem Kopf rumtanzen lassen«, zeterte sie. Daraufhin tauchte wie aus dem Nichts ein Wachmann auf und packte sie.
Verwundert verfolgte Gret, wie die Frau sich mit Händen und Füßen gegen das Fortschleppen zu wehren versuchte. Der Wachmann aber blieb unerbittlich und schleifte sie schließlich an den Haaren quer über den Hof durch den engen Durchgang nach draußen. Zufrieden klatschte der Zwerg in die Hände, auch die anderen Leute fielen nach und nach ein. Am preußischen Hof genossen Kleinwüchsige höchsten Beistand.
Grets Blick wanderte weiter. Emsiges Hämmern und Klopfen hallte von allen Seiten des geschlossenen Gevierts wider. An einem der Seitenflügel rechter Hand ragte ein gewaltiger Kran aus einem Fenster im zweiten Geschoss. Maurer beförderten Säcke mit Sand und Eimer mit Wasser nach oben. Nur wenige Schritte weiter behauten Steinmetze Quader, und Höker priesen geflochtene Körbe sowie irdenes Geschirr an. Der Schlosshof schien ein einziger Jahrmarkt mit buntem Volk, flankiert von unzähligen Baustellen. Wie selbstverständlich wurde dicht nebeneinander gehandelt und gebaut. Ein Wunder,
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