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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Spur besser gelaunt als vorhin rieb er sich das kantige Kinn, betrachtete die bunten Illustrationen, auf denen ein in einem roten Faltrock mit einer zweizipfeligen Gugel bekleideter Schalk zu sehen war. »Das müsst Ihr von zu Hause mitgebracht haben. In der hiesigen Bibliothek des Herzogs wird sich ein solches Buch wohl kaum finden.«
    »Warum nicht? Der Herzog liebt doch das Lesen.«
    »Ob er allerdings solche Geschichten mag, wage ich zu bezweifeln.«
    »Kennt Ihr seine Bestände so gut?«
    »Die Buchbestände nicht unbedingt, aber unseren ehrwürdigen Herzog ganz gewiss. Vielleicht sollten wir nachsehen, ob Ihr recht habt und sich hier in Tapiau tatsächlich solche Volksbücher finden. Es würde mich freuen, von Euch eines Besseren belehrt zu werden.«
    »Ihr wisst, was das bedeuten würde?«, wagte sie in scherzhaftem Ton zu fragen.
    »Dass Ihr den Herzog letztlich doch besser einschätzt als ich und ich mich seit Jahren in ihm täusche.«
    »Das habt Ihr gesagt.«
    »Aber Ihr gedacht, mein Augenstern.«
    Zum ersten Mal seit Tagen sah sie ihn lächeln. Frohen Mutes erhob sie sich von der harten Bank, die in die Fensternische eingemauert und lediglich mit einem Holzbrett verkleidet war. Ein dickes Kissen hatte zwar ihren Rücken gewärmt, dennoch spürte sie, wie steif ihr zierlicher Körper von dem stundenlangen Sitzen geworden war. Ebenso waren ihre Finger klamm von der Zugluft, die durch die Ritzen des Fensterrahmens drang. Sie schlenderte zum Ofen und legte die Hände gegen die Kacheln. Langsam strömte die Wärme durch ihren Körper. Mit angenehmem Schaudern wurde sie gewahr, wie Urban sich dicht hinter sie stellte. Sein Atem kitzelte sie im Nacken. Langsam drehte sie sich um, suchte seinen Blick. Zum ersten Mal seit Tagen wich er ihr nicht aus.
    »Manchmal frage ich mich, wie es die Kreuzherren früher in diesen Gemäuern ausgehalten haben. Für Frauen sind diese zugigen Räumlichkeiten wahrlich nicht geschaffen.«
    »Deshalb hat man ihnen früher wohl auch den Zutritt auf die Ordensburgen verwehrt. Ein tristes Dasein, mein Augenstern, dessen kann ich Euch versichern. Immerhin habe ich es in jungen Jahren noch erlebt.«
    Trotz des schwachen Lichts beim Ofen entdeckte sie ein Leuchten in Urbans Augen. Vergnügt zwinkerte sie ihm zu.
    »Lasst uns in die Bibliothek gehen und nach den Beständen sehen«, erklärte er und öffnete die Tür. Entschlossen fasste sie ihn an der Hand.
    Draußen im Gang empfingen sie rätselhafte Schattenwesen. Durch die schmalen gelben Butzenfenster in den dicken Außenwänden fiel nur spärliches Licht, das den dunklen Schemen zu einem munteren Dasein verhalf. Im Vorbeigehen nahm Urban eine Fackel aus der Halterung und leuchtete den Weg. Beleidigt wichen die Schatten zur weißgetünchten Wand zurück und schwebten fortan dort entlang. Doras und Urbans Schritte hallten laut über die Steinfliesen. Der lange, schmale Flur war von Kreuzgewölben überzogen, die sich Spinnennetzen gleich weit über die Decke ausspannten. Auf den Konsolen der halb in die Wand eingelassenen Granitpfeiler kauerten furchteinflößende Dämonen. Das unruhig flackernde Fackellicht entblößte ihre bedrohlichen Fratzen. Bei jeder weiteren dieser grauenvollen Figuren fühlte sich Dora unbehaglicher. Barg Gottes Schöpfung nicht auch eine Vielzahl freundlicherer Naturen, die man dort zur Freude der Betrachter hätte in Stein verewigen können? Oder hatten die Kreuzherren mit diesen Figuren die Hölle heraufbeschworen, um die preußischen Angreifer in die Flucht zu schlagen?
    Doras Gemach lag gleich über dem Hauptgeschoss am äußersten Ende des Nordwesttraktes der vierflügeligen Burganlage. Auch der mit einem Fallgitter gesicherte Haupteingang sowie der frühere Remter von Tapiau befanden sich dort. Die Bibliothek wie die herzoglichen Wohnräume waren dagegen im nördlichen Teil untergebracht, also hatten Dora und Urban einen weiten Weg vor sich. Niemand begegnete ihnen, selbst das Treppenhaus wirkte wie ausgestorben. Die Stille, die in den Mauern hing, malte das Unheimliche des Säulenschmucks noch weiter aus. Dora war froh, Urban zur Seite zu haben. Zielsicher steuerte er die schwere Tür an, die den herzoglichen Wohnbereich vom restlichen Teil trennte, und öffnete sie. Ein Wachmann, der hinter der Tür postiert war, fuhr zusammen. Trotz anderslautender Anweisungen war er vor Langeweile eingeschlafen. Wenn das herzogliche Paar nicht auf der Burg weilte, bewohnten nur wenige Amtsleute die riesige Anlage.

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