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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Die meisten Säle und Gemächer standen ebenso leer, wie die Flure unbenutzt waren.
    Auch in der Bibliothek war offenkundig schon lange niemand mehr gewesen. Beim Öffnen der Tür schlug ihnen abgestandene, eisige Luft entgegen. Anders als von Albrecht angeordnet, waren die Öfen nicht beheizt worden. Sogleich bildete sich eine tiefe Unmutsfalte auf Urbans Stirn. Er steckte die Fackel in die Halterung neben dem Eingang und trat in die Mitte des von zwei achteckigen grauen Pfeilern gestützten Saales. Sternförmig ergoss sich aus den Pfeilern das Gewölbe, was dem langgestreckten Raum eine gewisse Erhabenheit verlieh. Dora folgte Urban weiter nach drinnen. Trotz der unwirtlichen Kälte erfüllte sie beim Anblick der langen Bücherreihen an den Wänden ein heimeliges Gefühl. Dicht an dicht warteten breite Folianten in abgegriffenen Ledereinbänden neben kleinformatigeren Drucken und umfangreichen Kettenbüchern sowie mit Holzplatten eingebundenen Sammelbänden zum Teil schon seit Jahrzehnten, wenn nicht gar noch länger geduldig auf Leser. Selbst riesige Handschriften gab es, ordentlich getrennt von den Drucken in einem eigenen Regal. Der staubtrockene Geruch alten Papiers und Pergaments, gemischt mit dem nach speckigem Leder und gebeiztem Holz, kitzelte die Nase. Dora musste niesen. Das riss Urban aus seinen Gedanken. Er führte sie vor das Regal an der rückwärtigen Wandseite, wies mit der Hand weit ausholend über die gesamte Breite. Wenige Schritte entfernt lehnte eine Leiter. In einer der oberen Reihen klaffte eine beachtliche Lücke. Als Dora sich umdrehte, entdeckte sie auf einem Pult neben einer der raumstützenden Säulen einen beachtlichen Stapel Bücher, flankiert von einem längst erloschenen Talglicht. Eine dicke Staubschicht bedeckte die Bände.
    »Allzu oft wird von den wundervollen Werken nicht Gebrauch gemacht«, bemerkte Urban. »Seit Polyphemus’ letztem Besuch im vorigen Herbst dürfte keiner mehr hier gewesen sein. Dabei hat er eigens einen der Schreiber aus der Ratsstube instruiert, wie er die Bestände ordnen und in einem Katalog nach bestimmten Wissensgebieten verzeichnen soll. Wenn der Herzog in wenigen Wochen eintrifft, wird er außer sich sein, die Bibliothek so vernachlässigt zu sehen. Immerhin beherbergt sie seit der Aufgabe der Marienburg vor knapp einhundert Jahren einen Großteil des Bücherbesitzes sowie sämtliche Archivalien der Kreuzherren. Erst wenn die Bauarbeiten auf dem Königsberger Schloss beendet sind und auch die Universität vollständig eingerichtet ist, sollen die Unterlagen von hier fortgeschafft werden.«
    »Falls die Bauarbeiten auf dem Schloss jemals beendet werden«, erwiderte Dora und ließ den Blick wieder neugierig über die Buchrücken wandern. Das Licht der Fackel an der Tür reichte kaum aus, die Schrift zu entziffern. Ohnehin war bereits viel von der Goldprägung abgeblättert, so dass die Titel schwer lesbar waren.
    »Man sieht gleich, dass ein Großteil des Bestandes noch auf andere Zeiten zurückgeht.« Urban war sichtlich erfreut über ihr Interesse. »Latein ist doch eher die Sprache der Kirchengelehrten. Auch wenn es heißt, der Herzog lese gern theologische und rechtswissenschaftliche Schriften, so ist er doch dafür bekannt, diese Bücher in seiner eigenen Sprache zu lesen.«
    »Habt Ihr mir nicht erklärt, das wäre ganz im Sinne Luthers? Das Volk soll schließlich lesen können, was die Alten lehren.«
    »Deshalb fördert der Herzog auch die Druckereien im Land. Die Heilige Schrift soll bald auf Polnisch und Litauisch verbreitet werden. Selbst Gesangbücher lässt er in den Volkssprachen verfassen. Meister Cranach in Wittenberg liefert ihm dazu außer den verschiedensten Gemälden auch Kisten voller Bücher als Vorlage.«
    Urban konnte sich ein zufriedenes Schmunzeln nicht versagen. Ihr war, als würde er die Hand heben, um ihr die Finger an die Wange zu legen. Im letzten Augenblick schreckte er jedoch vor der Zärtlichkeit zurück und tat, als müsste er sich dringend das rechte Auge reiben.
    »Wollten wir nicht nachsehen, ob sich unter diesen wundervollen Schätzen tatsächlich auch einige Volksbücher wie jenes von Till Eulenspiegel finden?« Zu ihrer Enttäuschung ging Urban zu den Regalen und begann die Titel auf den Buchrücken zu studieren. Wagemutig schob sie sich dazwischen, versperrte ihm die Sicht.
    »Ihr wisst genau, dass Ihr ein solches Buch nicht hier finden werdet. Der Herzog mag diese Art von Schriften nicht. Stünde es hier,

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