Die Liebe des Kartographen: Roman
Gasthof gegangen, um dort Proviant für Xelia und Adalbert zu besorgen. Beide waren eine gute Meile vor der Poststation zurückgeblieben. Als er ohne Essen zurückgekommen war und stattdessen verkündet hatte, er hielte es für sicher, dass beide mit ihm im Gasthof übernachteten und speisten, hatten weder sie noch Adalbert lange gezögert â die Aussicht auf eine warme Unterkunft war einfach zu verlockend gewesen. Doch nachdem Xelia den überfüllten Schankraum betreten hatte, war ihr für einen Augenblick angst und bange geworden. So viele Menschen hatte sie noch nie in einem Raum gesehen, und für einen Augenblick war sie sich vorgekommen wie eine Maus, die einer Familie Katzen direkt vor die FüÃe springt. Das Glück hatte es so gewollt, dass just in diesem Moment ein Ecktisch frei geworden war, zu dem die beiden Männer sie hastig hingeschleust hatten. Auch Adalbert hatte keinen sonderlich entspannten Eindruck gemacht â zumindest war es Xelia so vorgekommen â, unentwegt hatte er zur Tür geschaut, als erwartete er, der Teufel persönlich würde eintreten.
Sie hatten gerade ihre Jacken ausgezogen und zusammen mit ihrem Gepäck unterm Tisch verstaut, als der Schankknecht zu ihnen getreten war. Mürrisch hatte er das Mahl heruntergeleiert, das sie bestellen konnten, und sich dabei unentwegt am Hintern gekratzt. Seine Beinkleider waren schmutziger als Xelias Rock, mit dem sie monatelang auf dem Boden der Höhle herumgekrochen war, sein Bart war gelblich verblichen, und unter jedem seiner Fingernägel entdeckte Xelia eine schwarze Dreckwurst. Doch auÃer ihr schien sich niemand an der unappetitlichen Erscheinung zu stören, sonst wäre das Wirtshaus wohl nicht so brechend voll gewesen. Nachdem der Schankknecht ihreBestellung aufgenommen hatte, hatte er einen tönernen Krug mit Rotwein auf den Tisch geknallt und drei Becher dazu. Dann war er wieder verschwunden. »Auf das Essen müsst ihr noch warten. Das gibtâs erst, wenn alle Gäste für die Nacht da sind«, hatte er ihnen noch über die Schulter zugerufen. Doch er schien zu den anderen Gästen ebenso unfreundlich zu sein.
Von da an begann Xelia, sich ein wenig zu entspannen.
Im Wirtshaus herrschte ein solches Kommen und Gehen, dass ihr der Vergleich mit einem Taubenschlag in den Kopf kam. Und wie die Männer durcheinander redeten! Sie war die einzige Frau im ganzen Raum, doch unter ihrem tief in die Stirn gezogenen Hut und dem langen Umhang nicht als solche erkennbar. Da hieà es immer, Weiber seien geschwätzig, doch diese Burschen stellten jedes Waschweib in den Schatten! Und erst die Geschichten, die sie zu erzählen hatten! Von denen hatte noch keiner einen kleinen Wolf gesehen, schoss es ihr durch den Kopf. Eine jede Reise war gefährlicher als die des Nebenmannes, jede Kauffahrt einträglicher, jeder Brückenzoll höher als der, den der Nebensitzer zu zahlen hatte. Auch schien keiner der Postillione und Fuhrleute jemals bei gutem Wetter unterwegs zu sein, zumindest was ihre Schilderungen der unglaublichen Schneestürme, Gewitter und anderer Unbill anging. Und mit jedem Krug Wein, den der schmuddelige Knecht an die Tische brachte, wurden die Gefahren gröÃer und die Unwetter grausamer.
Xelia musste lächeln. Manchmal war sie ganz froh, kein Mann zu sein.
»Und wie lange werden wir deiner Ansicht nach bis nach Meran brauchen?« Adalberts Frage riss Xelia aus ihren Gedanken.
Philip zuckte mit den Schultern. »Eine vorsichtige Schätzung beläuft sich auf drei bis vier Wochen. Wie schnell wir vorankommen, hängt von vielen Faktoren ab.« Er lehnte sich zurück, und Xelia erkannte an seiner Miene, dass sienun wieder eine längere Ausführung zu erwarten hatten. Und so war es auch. Doch was Philip zu sagen hatte, war sehr aufschlussreich und bei weitem nicht so langweilig, wie sie befürchtet hatte. »Zum einen vom Wetter und den Bodenverhältnissen, worauf wir natürlich gar keinen Einfluss haben. Zum andern von unserer Entscheidung, ob wir Pferde mitnehmen oder nicht.«
Xelia stutzte kurz bei der Erwähnung von Pferden .
»Und dann ist unsere Reisegeschwindigkeit auch abhängig von unserer körperlichen Verfassung.« Die Art, wie er seine Augenbrauen hochzog, sprach Bände. »Verzeih mir meine Offenheit, aber du, lieber Adalbert, bist nicht mehr der Jüngste. Und besonders viel auf den Rippen
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