Die Liebe des Kartographen: Roman
es nie richtig hell wurde.
»Hinter mir in der Gasse lauerte eine Horde Kinder, die mich anstarrte wie ein Wolf seine Beute. Ich klopfte an, und als die Tür endlich aufging, war ich fast schon erleichtert, eintreten zu können.« Adalberts Augen waren zwar auf Xelia gerichtet, doch sein Blick ging nach innen. »Die Hütte war so düster, dass ich erst einmal gar nichts sah. Ein groÃer schwarzer Hund kam auf mich zugesprungen, und mir stockte das Herz. Aber er schnupperte nur an meiner Hand und trollte sich dann in eine Ecke. Und dann war da noch der Geruch ⦠Es roch fruchtig, nach dieser Blume, die nur im Mai in den Wäldern blüht, du weiÃt schon, welche.«Xelia nickte. Sie konnte sich noch genau erinnern, wie Eulalia diese Blumen im Frühjahr immer gesammelt und zusammen mit etwas Honig in einen Krug Wasser gegeben hatte. Das Getränk, welches dabei entstanden war, schmeckte süà und verheiÃungsvoll nach Sommer.
»Und dann stand ich ihr gegenüber.« Adalbert musste sich räuspern. »Sie war so schön wie keine andere Frau. Ihr Haar war noch heller als deines, es hing ihr in weichen Wellen bis über die Hüfte hinab, ihre Haut war hell wie Milch, ihre Augen dunkel wie Kohlestücke. Ich musste dreimal ansetzen, bis ich endlich herausbrachte, was meine Mutter von ihr wünschte, so verwirrt war ich. Und Eulalia? Sie lächelte nur, sprach kein Wort, stand da wie ein Wesen aus einer anderen Welt.« Er schaute auf. »Ich liebte sie vom ersten Augenblick an.«
»Und wieso hast du sie dann verlassen?«, kam es gereizt von Xelia. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt  â diese Beschreibung hatte mit der gebückten Gestalt ihrer Mutter, wie Xelia sie in Erinnerung hatte, gar nichts gemein! Was Adalbert bisher erzählte, hörte sich genauso an wie die Floskeln, die Samuel ihr immer ins Ohr geflüstert hatte! Und was war daraus geworden?
»Eulalia hat mich verlassen.« Seine Stimme klang gepresst, als müsse er gegen einen Widerstand ankämpfen. »Aber so einfach war es nicht. Ich habe an allem Schuld, was geschehen ist. Meine Zögerlichkeit, meine Feigheit, mein â¦Â«
Xelia schüttelte ihn am Arm. »Was soll das? Wen willst du quälen? Mich? Dich? Erzähle mir doch einfach, wie es war!«
Es war die Geschichte einer Freundschaft, die in den Augen der Tübinger nicht sein durfte. Adalbert, der Universitätsgelehrte, und Eulalia, die Haarspinnerin â wohin sollte das führen? Die beiden wussten es selbst nicht, aber das Bedürfnis, in der Nähe des anderen zu sein, war stärker als jede Frage der Konvention. So trafen sie sichimmer wieder. Und das unter den Augen der Ãffentlichkeit, denn wie es sich herausstellen sollte, war Eulalia nicht nur Haarspinnerin, sondern eine gefragte Heilerin. Tagtäglich kamen Leute zu ihr, von der Bettlerin bis zur Gattin des Forstrates, vom Eisenschmied bis zum Gelehrten von der Universität, der hochrot im Gesicht anlief, als er in Eulalias Hütte plötzlich einem Kollegen gegenüberstand. Jedenfalls waren Adalbert und Eulalia selten allein. Er genoss es trotzdem, einfach in ihrer Nähe zu sein. Auch Geistliche gingen bei Eulalia ein und aus. Vor allem der Pfarrer der Sankt-Bernhardinus-Kirche war von ihrem Wissen sehr angetan. Er kam fast jede Woche und fragte sie nach allem Möglichen aus. Bereitwillig gab Eulalia Auskunft über die Heilkraft der Kräuter. Als er jedoch Zaubersprüche von ihr wissen wollte, schüttelte sie den Kopf. Davon wisse sie nichts, antwortete sie, was der Pfarrer jedoch nicht glauben wollte. Wer so viel im Wald war und nach Pflanzen Ausschau hielt, musste dabei doch auch auf Geister und Zauberer treffen, die ihr geheime Worte verrieten, sagte er immer wieder, doch Eulalia verneinte. Als er wieder einmal gegangen war, hatte sie Adalbert aus groÃen Augen angestarrt. Die Angst in ihrem Blick war nicht zu übersehen.
Adalberts Herz blutete wie mit tausend Nadeln gestochen. Lalis Angst war nicht unbegründet. Als Heilerin wandelte sie auf einem schmalen Pfad: Auf der einen Seite stand die Dankbarkeit der Menschen, denen sie helfen konnte â auf der anderen Seite ihr Misstrauen darüber, wie diese Hilfe zustande gekommen war. Woher hatte die Heilerin ihr Wissen? Welche Kräfte waren im Spiel, wenn sie ihre Tees und Elixiere braute? Wehe, sie konnte einmal einem Kranken nicht helfen, oder
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