Die Liebe des Kartographen: Roman
Dafür, dass er es nie länger als ein paar Jahre an einem Ort ausgehalten hatte.
Sie sprachen noch über ein paar Belanglosigkeiten, dann verschwand Adalbert wieder zwischen den Feiernden. Philip blieb noch eine Weile auf der Bank sitzen. Bald hatte die Mauer ihre von der Sonne gespeicherte Wärme abgegeben, und in ihrem Schatten wurde es kühl. Er gab sich einen Ruck und stand auf. Wie ein Traumwandler schritt er durch den Garten, in dem unzählige Kerzen wie übergroÃe Glühwürmchen leuchteten. Der weiÃe Jasmin, der an den Steinwänden so üppig wucherte, duftete süà und verführerisch. Seine Augen suchten die Menge nach Xelia ab. Als er sie neben der Comtessa entdeckte, die mit ihren Händen fuchtelnd versuchte, Xelia etwas zu erklären, setzte sein Herz einen Augenblick lang aus. Sie war soschön! Bei ihrem Anblick kam ihm ein Feld wilder Blumen in den Sinn: Ihr Haar glänzte wie eine Silberdistel, ihre Augen waren so blau wie Kornblumen, ihre Wangen so zart gefärbt wie eine frisch erblühte Heckenrose.
Xelia. Wie sollte er ohne sie weiterleben? Wie sollte er ohne ihre gemeinsamen Nächte, in denen nicht nur ihre Körper, sondern auch ihre Seelen miteinander verschmolzen, weiterleben? Er hörte ein Wimmern und stellte verschämt fest, dass es aus seiner Kehle gekrochen war. Was war nur los mit ihm? Wahrscheinlich würde er im nächsten Augenblick losjammern wie ein altes Waschweib! Er wandte sich ab, ging zur Balustrade und schaute auf die Stadt, die im dunkel werdenen Abendlicht zur Ruhe fand.
Freuen sollte er sich, jawohl! Glücklich sein darüber, dass sich alles so wundervoll entwickelt hatte. Was wäre gewesen, wenn Michael seine Gäste nicht für immer aufgenommen hätte? Sicher, Xelia und auch Adalbert hätten sich sonst wo niederlassen können, doch eine so gesicherte Existenz wie in Michaels Haus hätten sie sich nicht aufbauen können. Oder was wäre gewesen, wenn Xelia den Fluch des Verfolgtwerdens auch hier nicht losgeworden wäre? Wenn durch irgendeinen elenden Zufall jemand aus der alten Heimat auf sie aufmerksam geworden wäre? Hier war sie endlich sicher, niemand wusste, woher sie kam, keiner hatte je von den grundlosen Anklagen gegen sie gehört. Hier in Meran war sie nur Xelia, die Heilerin. Nur  â ha! Die Menschen beteten sie regelrecht an, manche von Michaels Patienten legten in der Zwischenzeit schon den gröÃten Wert darauf, von Xelia behandelt zu werden. Ein Glück, dass Michael darauf so groÃmütig reagierte! Ein eifersüchtiger Kleingeist wäre mit ihrer Beliebtheit sicher nicht zurechtgekommen, erkannte Philip. Michael hingegen tat seine GroÃzügigkeit ab, als sei sie etwas ganz Normales. »Xelia ist doch meine Nichte! Die Fähigkeiten zum Heilen liegen bei uns eben in der Familie!«, hatte er Philip zur Antwort gegeben, als dieser ihn auf Xeliaswachsende Beliebtheit unter seinen Patienten angesprochen hatte.
Dass Adalbert Xelias Vater war! Auch diese Neuigkeit hatte Michael auf seine Art aufgenommen: Er lieà Guiseppa ein Festmahl kochen, um mit Speis und Trank die neue Familienbande zu feiern. Xelias Mutter hatte er nie kennengelernt, da Adalbert seine Liebschaft zu Lali vor der Familie geheim gehalten hatte, doch nun freute er sich umso mehr, seine Tochter kennenzulernen!
Philip hatte sich eine Zeit lang fast geweigert, eine so unbegreifliche Geschichte zu glauben, aber Adalbert und Xelia hatten ihm immer wieder vorgerechnet, dass es keinerlei Zweifel daran geben konnte! Man stelle sich das einmal vor: seinen Vater nach so vielen Jahren kennenzulernen! Seit Xelia davon wusste, war sie wie ausgewechselt â ihre unterschwellige Traurigkeit, ihre Verschlossenheit, das Grüblerische in ihr â alles war verflogen. Wenn Philip ihr heute ins Gesicht schaute, hatte er nicht mehr das Gefühl, erst einmal durch eine harte Schale hindurchgucken zu müssen. Heute war ihre Miene offen, sie schien nicht mehr das Gefühl zu haben, ihr Innerstes schützen zu müssen, als nähere sich ständig eine Horde Räuber! Falls dies überhaupt möglich war, war Xelia noch liebenswerter geworden. Oder erschien sie nur in seinen Augen so? In den Augen der Liebe? Auch stritten sie lange nicht mehr so viel wie zuvor, sondern entdeckten stattdessen immer mehr Gemeinsamkeiten bei ihrer Sicht der Dinge. Erst letzte Woche hatte sie ihm gegenüber
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