Die Liebe des Kartographen: Roman
bemerkt, dass er recht gehabt habe mit seiner Ansicht, die Arbeit eines Menschens sage viel über ihn selbst aus. »Ich weià inzwischen nicht mehr, was ich ohne Arbeit täte!«, hatte sie lachend ausgerufen, und Philip hatte sich im Stillen dasselbe gefragt. Was würde er ohne seine Arbeit tun?
Adalbert schienen solche Sorgen nicht im Geringsten zu plagen. In Philips Augen war dessen Tagwerk jedoch eher dürftig: Bis in die späten Morgenstunden saà seinalter Lehrer bei Guiseppa in der Küche, gegen Mittag ging er in die Stadt, um andere Gelehrte zu besuchen. Denen erzählte er immer wieder lang und breit â und ob sie es hören wollten oder auch nicht â von seiner Tochter, der begabten Kräuterfrau. Von solchen Besuchen kam er meist erst spät zurück, und oftmals war er auffallend heiter, was Philip dem roten Rebensaft zuschrieb, der dank Merans geschützter Lage hier so wundervoll gedieh. Zu Philips Enttäuschung hatte Adalbert noch nicht einmal mit seinem Werk über die Kartographie angefangen! Erst vor ein paar Tagen hatte Philip ihn darauf angesprochen und seine Hilfe angeboten â schlieÃlich waren seine Tage nun auch nicht mehr von früh bis spät mit der Arbeit an seinen Karten gefüllt â, aber Adalbert hatte nur abgewunken und gemeint, das hätte noch Zeit. Philip zuckte mit den Schultern. Jedem das seine ⦠Solange Michael den MüÃiggang seines Bruders tolerierte und ihm freie Kost und Logis bot, so lange wollte er auch nicht den Richter spielen. AuÃerdem hatte er weià Gott genug eigene Sorgen!
»Ist es nicht unglaublich?«, hörte er plötzlich Xelia neben sich sagen. Sie war so leise an ihn herangetreten, dass er fast aufschreckte. »Es ist noch gar nicht lange her, da glaubten wir, der Winter würde nie enden, und jetzt?«
Er lieà ihre Frage unbeantwortet und legte stattdessen einen Arm um sie. Eine Weile lang standen sie schweigend da, Schulter an Schulter, und genossen die Wärme des anderen. Das Lachen und Singen der Leute klang nun gedämpfter zu ihnen herüber, als habe sich die Dunkelheit wie eine Haube über die Feier gelegt. In den StraÃen wurden die Laternen angezündet, in deren Licht das Kopfsteinpflaster glänzte.
»Ach, die Stadt ist so wunderschön!« Xelia stieà einen tiefen, zufriedenen Seufzer aus.
»Nun ja.« Als wunderschön hätte Philip Meran zu allerletzt bezeichnet! In seinen Augen war es eher ein Kuhdorf, dessen Ode allein durch sein mildes Klima erträglichgemacht wurde. »Vielleicht war die Stadt einmal ganz ansehnlich, aber heute ist von ihrem alten Glanz nicht mehr viel zu spüren.« Er wies nach unten. »Die StraÃen verkommen, viele Häuser stehen leer und zerfallen und da, auf dem Hügel â«, er zeigte mit dem Kinn auf den gegenüberliegenden Hang, an den sich ein halbes Dutzend kleine Burgen und Schlösser schmiegte, »alles verlassen! Das sieht doch aus, als habe die Pest gewütet!«, fuhr er heftiger fort, als er wollte. Sofort spürte er, wie Xelia ein Stück von ihm abrückte.
»Ich finde es trotzdem schön hier!«, sagte sie trotzig. »Und dass die ganzen Adligen nach Bozen oder sonst wohin gezogen sind, stört mich nicht im Geringsten! Vielleicht ist die Stadt nicht so lebhaft wie dein Stuttgart oder Tübingen, aber auch das ist mir recht.«
»So war es doch nicht gemeint!« Philip drückte Xelia fester an sich. »Ich finde es auch sehr angenehm hier, und vor allem die Menschen sind überaus freundlich!« Worüber zankten sie eigentlich? Das elende Kuhdorf war es doch gar nicht wert!
Ein Schauer durchlief Xelias Körper. Auch sie war alles andere als streitsüchtig gesonnen.
»Lass uns hineingehen«, flüsterte sie.
~ 57 ~
W ie jede Nacht fanden ihre Körper zueinander und alles, was am Tage vorgefallen war an Glück und Streit, Ãrger und Erfreulichem, war vergessen. Michaels Gäste, das Fest, die Musik â alles war so weit weg. Weibliche Rundungen schmiegten sich an männliche Kanten, Hände krallten sich ineinander fest, Kräuterduft verschmolz mit dem herben Farbengeruch seiner Hände, die vom Kartenmalen blaue Daumen aufwiesen. Sie atmeten die gleiche Luft, so nahe waren ihre Münder beeinander, ihre Leiber hoben und senkten sich im selben Takt. Es war, als habe ihre Liebe eine neue Intensität
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