Die Liebe des Kartographen: Roman
was das Leben anging, wusste er scheinbar gar nichts!
»Vater! Nimm das Wort in meiner Gegenwart nie mehr in den Mund, wenn du willst, dass es dir gut geht!«
Ohne ein weiteres Wort verlieà Xelia die Höhle. Sie musste hinaus, allein sein.
Philip blickte ihr nach. Du meine Güte! Das Weib war wirklich merkwürdig! Es war doch nur natürlich, dass er mehr von ihr erfahren wollte. Je mehr er von ihr wusste, desto besser konnte er mit ihr umgehen, sie vielleicht doch noch überreden, Hilfe zu holen.
Die Tochter eines Gerbers war sie also, so viel wusste er schon einmal. Die Tochter eines Gerbers ⦠, wieso kamen ihm diese Worte so bekannt vor? Plötzlich fiel es ihm ein. Kurz vor seinem Unfall waren ihm vor dem Haus des Markgrafen diese beiden Weiber über den Weg gelaufen. Sie hatten doch ebenfalls behauptet, Gerberstöchter zu sein und den Hundekot für ihre Arbeit zu benötigen. Pfui Teufel! Ihn schüttelte es immer noch, wenn er nur daran dachte. Dann mussten das wohl ihre Schwestern sein. Aber warum lebte sie nicht bei ihnen?
Krampfhaft versuchte er, sich an die beiden Frauen zu erinnern. Die eine der beiden hatte einen Buckel, fiel ihm wieder ein. Sie war wohl die Ãltere gewesen. Doch mit Xelia hatten sie kaum etwas gemein. Xelia â was für einName! Hieà so nicht eine Hexe? Wie eine Hexe kam sie ihm jedoch trotz allem nicht vor. Dann musste er allerdings zugeben, dass er noch nie eine solche getroffen hatte. Trotzdem, er blieb dabei, Xelia war keine Hexe. Jeder andere Gedanke wäre schlieÃlich zu beunruhigend gewesen.
In den letzten Tagen hatte er sie oft heimlich beobachtet â was konnte er auch sonst tun? Irgendwann hatte er zugeben müssen, dass sein erster Eindruck von ihr falsch gewesen war. Die Lumpen, die sie trug, waren zwar gotterbärmlich heruntergekommen, geflickt und verblichen, aber nicht schmutzig. Ihre Haare waren strähnig und nur durch einen einfachen Zopf zusammengehalten, doch weder verfilzt noch verlaust. Sie wusch sich und ihre »Kleider« täglich geradezu mit Besessenheit. Obwohl die Höhle eng und niedrig war, bewegte sie sich anmutig darin. Er musste an all die schusseligen Schankmädchen denken, die in den Gasthöfen Bierkrüge verschütteten, über ihre eigenen FüÃe stolperten und vor lauter Dummheit nicht geradeaus laufen konnten. Nein, das Weib hier war anders. Sie war sowieso anders als jeder Mensch, den er bisher kennengelernt hatte. Und faul war sie auch nicht, ganz im Gegenteil: Sie war den ganzen Tag beschäftigt. Wenn sie gerade einmal nicht Kräuter oder Beeren sammelte, schnitzte sie hilfreiches Zeug Wie Löffel oder SpieÃe aus Asten zurecht. Gestern hatte sie einen ganzen Armvoll Schilf vom Bachufer mitgebracht, um daraus einen Korb zu flechten. Er wusste, dass sie das ohne weiteres schaffen würde.
Doch warum versteckte sie sich hier in der Höhle? War sie vor dem Vater, den sie scheinbar so sehr hasste, weggelaufen? Er musste an seine eigenen Eltern denken und stellte fest, dass es ihm schwer fiel, sich ihre Gesichter vor Augen zu rufen. Seine Mutter â blass, immer ein wenig mürrisch, gerade so, als habe sie mehr vom Leben erwartet und würde zu kurz kommen. Er erschrak. Wie kam er auf solch einen Gedanken? Seine Mutter hatte doch alles, was sie brauchte, und war damit zufrieden! Hastig versuchteer, sich im Geiste seinem Vater zuzuwenden, doch auch damit hatte er Mühe. Er sah nur eine groÃe, über einen Schreibtisch gebückte Gestalt. Andreas Vogel. Als Kind hatte er Angst vor ihm gehabt, fiel Philip plötzlich und ungebeten ein. Wenn sein Vater ihn so sehen könnte ⦠Plötzlich schüttelte es ihn, als fröre er. Schnell jagte er die Erinnerung an seine Eltern wie lästige Fliegen davon. Machte ihn der Aufenthalt in diesem dunklen Erdloch morbid? Es würde ihn nicht wundern. »Ich will hier raus!«, flüsterte er heiser. Dann stiegen ihm die Tränen in die Augen.
Abrupt setzte er sich auf und robbte ein wenig in Richtung Ausgang. Dort zwang er sich, tief durchzuatmen.
Wo ist Alois, fragte er sich zum wiederholten Male. Ein herrenloses Pferd samt Zaumzeug musste doch irgendjemanden stutzig machen, oder?
Nachdem vor einigen Wochen eines Morgens versucht worden war, ihm in einem Mietstall ein völlig heruntergekommenes Zaumzeug anzudrehen, hatte er seinen Namen und Titel in das Leder eingeritzt, um es so vor
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