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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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weiteren Verwechslungen zu schützen. Das hätten die Leute im Dorf doch entdecken müssen! Längst hätte jemand nach ihm suchen müssen. Doch offensichtlich geschah nichts dergleichen. Seine einzige Chance, aus diesem Loch freizukommen, war die, Xelia zu überreden, ihm dabei zu helfen.
    Nach einer halben Ewigkeit schob sich der grüne Vorhang endlich zur Seite, und sie betrat die Höhle. Von seinem Lager aus konnte er sehen, dass es draußen dunkel war. Nacht also. Er hatte längst jedes Zeitgefühl verloren, was ihn ebenfalls ängstigte. Mit Xelia kam süße, harzige Luft hereingeweht, die nach Tannenzapfen und Blättern roch. Dass Luft so gut riechen konnte, war ihm bisher noch nicht aufgefallen.
    Xelias Miene war verschlossen. Sie ließ sich auf ihrem Lager direkt neben dem seinen nieder und tat so, alswürde sie ihn nicht sehen. Von nahem stellte er fest, dass ihre Haare nass waren und ihr zerlumptes Kleid ebenfalls. Plötzlich hatte er keine Lust mehr, sie auf ihre Schwestern anzusprechen und darauf, dass er ihnen begegnet war. Stattdessen wollte er wissen: »Ist hier in der Nähe ein Bach oder ein Teich, wo man sich waschen kann?« Das fragte er, der Kartograph! Wieder kam er sich töricht vor.
    Sie schaute auf. Es schien, als würde ihr Gesicht durch unsichtbare Risse in tausend Teile gesplittert, als würden sich unter der glatten Oberfläche wilde Bewegungen abspielen, von denen er schon die leichtesten Schwingungen erahnen konnte. Sie war eigentlich ganz hübsch! Das war ihm bisher noch gar nicht aufgefallen.
    Â»Ein Bach, die Muhr. Dorther hole ich unser Wasser, und waschen kann man sich da auch.«
    Â»Von Kopf bis Fuß waschen! Das würde mir auch gut tun!« Philip seufzte und hoffte, sie würde etwas erwidern – in der Art, dass sie sich anbot, ihn zu stützen und zum Bach zu begleiten. Einmal dort angekommen, konnte er laut um Hilfe rufen, und dann würde vielleicht jemand auf ihn aufmerksam werden und … Plötzlich stieg eine seltsame Hitze in seinen Wangen empor, und es dauerte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, dass es seine eigene, heiße Scham war.
    Xelia schaute zu ihm hinüber, sagte aber nichts.
    Und Philip hatte das Gefühl, sie könne in ihm lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch.

~ 21 ~

    A ls er am nächsten Morgen aufwachte, war sie schon wieder verschwunden. Man hätte annehmen sollen, dass sein Schlaf angesichts seiner widrigen Umstände schlecht oder wenigstens getrübt wäre, stattdessen schlief er so tief und lange wie noch nie zuvor! Jeden Morgen wachte er nach ihr auf, was immer er sich beim Einschlafen auch vornahm. Andererseits … es war gut so. Er griff nach der Matte aus Blättern und Moos, die sie ihm hingelegt hatte und verrichtete seine Notdurft. Dann wickelte er alles zu einem Paket zusammen und verschnürte es mit zusammengeflochtenen Gräsern, die sie ihm stets dazugab. Auch noch am zweiten Tag war ihm das ganze Thema so peinlich gewesen, dass er mit seinen Bedürfnissen zurückgehalten hatte. Doch schließlich war das nicht mehr möglich gewesen, und er hatte zähneknirschend der Natur nachgegeben. Inzwischen hatte dieses Ritual nichts sonderlich Beschämendes mehr an sich, es war eben ein menschliches Bedürfnis, das er wie jeder andere verrichten musste. Dem Himmel sei Dank, dass das Weib sich in dieser Hinsicht leidlich anstellte, keine unnötigen Worte verlor oder gar spottete. Er musste plötzlich an Adalbert Hyronimus denken, der wahrscheinlich mit der gleichen Selbstverständlichkeit seine Kranken wusch und pflegte. Auf einmal bedauerte er es, seinen alten Lehrer nun doch nicht besucht zu haben. Wer wusste, wann er wieder einmal nach Blaubeuren kam?
    Je öfter er über Xelia nachdachte und darüber, wie sie mit ihm und der unliebsamen Situation umging, desto häufiger spürte er eine bis dato völlig unbekannte Empfindung in sich aufsteigen: Achtung vor dem Mädchen, das ihn aufgenommen hatte und das ihn pflegte, als sei er ihr Bruder.
    Wie jeden Morgen kam sie mit einem Armvoll grüner Gräser wieder zurück, bei deren Anblick Philips Magen ein lautes Knurren von sich gab. »Sag’, warum lebst du nur von Grünzeug und Äpfeln und Beeren? Warum fängst du nicht einmal einen Hasen? So geschickt, wie du dich anstellst, könntest du das gewiss auch.« Er wollte ihr nicht schmeicheln, sondern

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