Die Liebe des Kartographen: Roman
getötet.«
Schnörkellos erzählte sie ihm den Rest. Während Philip mit geballten Fäusten zuhörte, spürte er ein seltsames, unbekanntes Gefühl in sich aufsteigen. Es waren Wut und Hilflosigkeit zugleich, die in ihm rumorten wie MagenreiÃen nach einer verdorbenen Mahlzeit.
»Aber warum beschuldigt er dich des Mordes an Samuel? Das kann er doch nicht machen!« Philip schlug mit der flachen Hand auf sein bandagiertes Bein und kam sich lächerlich dabei vor.
»So?«
»Warum hast du dich von ihm einschüchtern lassen? Es hätte doch dein Wort gegen das seine gestanden?« Philip schüttelte den Kopf. Feltlin war doch ihr Vater! Auf der anderen Seiteâ¦, es mochte stimmen, was hätte ein Mädchen wie Xelia gegen diesen gewalttätigen, groben Klotz schon ausrichten können?
Sie seufzte, und in diesem Seufzen erkannte Philip eine groÃe Verzweiflung. Xelias Lippen zitterten, als wolle sie etwas sagen, doch dann presste sie ihren Mund zu einem schmalen Schlitz zusammen, als sei es ihr im letzten Augenblick gelungen, ein Geheimnis zu bewahren.
Er hätte so gern etwas Tröstliches zu ihr gesagt, und ihm fiel doch nichts ein. Stattdessen zwang er sich, seinen Verstand einzuschalten.
»Ich weià nicht â¦Â«, er schüttelte den Kopf, »aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das alles nur ein Teil der Wahrheit ist.« Er suchte ihren Blick. »Verschweigst du mir etwas?«
Xelia schaute hoch. »Darauf habâ ich gewartet.«
»Ja und? Meinst du nicht, es ist an der Zeit, mit der ganzen Geschichte herauszurücken? Oder vertraust du mir immer noch nicht?«
Sie lachte kurz auf. »Vertrauen! Das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Ich ⦠weià nicht, ob ichâs fertigbringe!« Sie lieà die Hände hilflos in den Schoà fallen.
»So schlimm kann es doch gar nicht sein.«
Xelia zog ihre Augenbrauen hoch, als könne sie eine spöttische Erwiderung nur mit Mühe unterdrücken. Doch dann wurde ihr Gesichtsausdruck ernst. Sie öffnete den Mund, doch bevor sie etwas sagen konnte, schlossen sich ihre Lippen wieder, als habe sie nur um Luft gerungen. Sie wirkte müde, erschöpft, widerstandslos. »Von mir aus sollst du den Rest auch noch erfahren. Vorbei ist schlieÃlich vorbei«, sprach sie mehr zu sich selbst als zu Philip. Stockend, immer wieder nach den richtigen Worten suchend, immer wieder prüfende Blicke auf ihn richtend, erzählte sie von den Nächten in der Gerberei. Von dem Ekel und der Ungläubigkeit, die sie beim ersten Mal gespürt hatte. Von ihren Versuchen, später, als es sich jede Nacht aufs Neue wiederholte, mit ihren Gedanken aus ihrem Körper zu schlüpfen und einfach woanders zu sein. Manchmal sei es ihr gelungen, sagte sie. Doch die blauen Flecken am nächsten Morgen, das Gefühl des Beschmutztseins, hätten sie jedes Mal wieder brutal in diesen Körper zurückgeholt.
Erstarrt wie eine Salzsäule, saà Philip da. Das Atmen fiel ihm schwer. Und wäre es um sein Leben gegangen â er hätte keinen einzigen Satz herausgebracht, so durcheinander war er. Kein Wunder, dass sie Mühe hatte, über ihre Erlebnisse zu sprechen!
Xelia schaute auf. »Manchmal denkâ ich, es wärâ besser gewesen, ich hättâ ihm einfach ein Messer in den Bauch gerammt. Dann hättâ das Elend ein Ende gehabt.« Sie lachte, und Philip wand sich unter dem bitteren Tonfall.
»Und was habâ ich dumme Ziege stattdessen getan? Mich darauf verlassen, dass ein anderer mir hilft!« Sie sank in sich zusammen. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
Trotz der zwischen ihnen entstandenen Vertraulichkeit fühlte Philip sich irgendwie befremdet, in die Engegetrieben. Sei still! , hatte er zwischendurch immer wieder sagen wollen. Was du erzählst, will ich nicht hören. Und: Das ist nicht meine Welt! Stattdessen strich er ihr zaghaft über den Rücken und lauschte stumm, wie sie ihr Leben vor ihm ausbreitete. Er spürte einen leisen Hauch von Angst in sich aufsteigen. Was würde Xelia wohl von ihm erwarten? Dass er den ganzen Knoten ungelöster Probleme wie ein Zauberlehrling entwirrte? Wo hätte er anfangen sollen? Welche Auswirkungen hatten diese völlig unbekannten Vertraulichkeiten wohl für sein Leben?
Um irgendetwas zu tun, schob Philip den Vorhang zur Seite und starrte nach drauÃen. Es hatte zu regnen
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