Die Liebe des Kartographen: Roman
durchgetrocknete Walnussast, den sie als Schiene für sein Bein verwendet hatte. Sie musste in ihrem Leben schon viel und schwer gearbeitet haben, jedenfalls mehr als er, denn solche Muskeln konnte er nirgendwo am ganzen Körper aufweisen. Trotzdem erschien sie ihm plötzlich verletzlich und zart. Ihr Haar glänzte im hereinfallenden Licht wie die Silbernieten von Aloisâ Zäumung. Er erschrak abermals, diesmal über sich. Was um alles in der Welt war über ihn gekommen? Seine Weichheit machte ihn plötzlich zornig.
»Die Männer haben sich über die Mörderin des Tuchmachersohnes unterhalten â¦Â« Gleich, als sie hereingekommen war, hätte er sie mit seinem Verdacht konfrontieren sollen! Er rückte ein Stück von ihr ab. »Sie sei eine Hexâ, haben sie behauptet. Verdammt noch mal, was spielst du für eine Posse? Du bist die Tochter eines Gerbers â und wirfst ein Hasenfell achtlos weg. Du bist die Tochter einer Heilerin â aber niemand kommt zu dir. Ganz im Gegenteil, die Leute haben Angst vor dir, und umgekehrt ist esebenso. Und jetzt sieht es auch noch so aus, als hättest du einen umgebracht!« Trotz seines hilflosen Zorns klang seine Stimme selbst in seinen Ohren eher verzweifelt. Und so fühlte er sich auch. Noch nie hatte er einen so widersprüchlichen Menschen wie Xelia kennengelernt. Und dabei hatte er nur den kleinsten Teil von dem gesagt, was ihm durch den Kopf ging.
Du trägst verkommene Lumpen â und bist doch reinlicher als die feinste Gräfin. Du bist fast noch ein Kind â und doch so klug wie eine Greisin. Dein Zopf ist so schmucklos wie der eines Gaules â und doch glänzt dein Haar wie das einer Prinzessin â¦
Xelia hatte die Knie an ihren Leib gezogen, als wolle sie sich dahinter verstecken. Ihr Atem ging schwer, aber nicht mehr wegen ihres schnellen Laufens von vorher, das wusste er. Ihr war anzusehen, dass sie mit sich kämpfte. Philip blickte sie eindringlich an. Jetzt war die Stunde der Wahrheit gekommen! Er wusste nicht, woher diese Empfindung plötzlich kam â schlieÃlich widersprach sie ganz und gar seiner bisherigen Gewohnheit, sich nicht in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Aber er wollte sich von Xelia nicht mehr mit Ausreden abspeisen lassen, er wollte jetzt endlich genau wissen, mit wem er es da zu tun hatte!
Warum zitterte er dann innerlich so?
War er sich vielleicht doch nicht ganz so sicher, dass sie sich ihm gegenüber offenbaren würde? Oder hatte er Angst vor dem, was er vielleicht zu hören bekam?
~ 23 ~
Und Xelia erzählte. Von Samuel, der aus einer anderen Welt zu ihr gekommen war. Von seinen Beteuerungen, sie sei ihm das Liebste und Wichtigste auf der Welt. Von seinen Versprechungen, er würde sie mitnehmen in das Haus seines Vaters. Von ihren Hoffnungen. Als sie von dem Abend sprach, an dem sie am Waldrand auf Samuel gewartet hatte, wurde ihre Stimme dick wie dunkler Honig. Doch es fehlte ihr an jeglicher SüÃe. Xelia musste schlucken, und kleine Knoten wanderten ihre Kehle hinab.
Philip konnte sie nur anstarren. Er wartete darauf, dass sie fortfuhr. Bisher hatte sie noch keinen Ton über den Mord verloren. Dass die Geschichte mit Samuel nicht gut hatte ausgehen können, war ihm schon nach den ersten Sätzen klar geworden. Der Sohn eines reichen Tuchhändlers! Und sie die Tochter eines Gerbers. Wahrscheinlich hatte der Bengel nur sein Vergnügen mit ihr haben wollen. Ihm fielen seine Kommilitonen ein, die sich stets lautstark mit den Eroberungen unschuldiger Schank- oder Bauernmädchen gebrüstet hatten. Obwohl er diesen Samuel nicht kannte, war Philip wütend auf ihn. Und er war wütend auf Xelia, die wohl auch nicht klüger war als die dummen Gänse, mit denen seine Studienkollegen ihren Spaà gehabt hatten.
Sie erzählte von Samuels vergossenen Tränen und wie er sich von ihr trösten lieÃ, ohne ihr selbst Trost bieten zu können, und Philip verspürte nur Verachtung. Das soll ein Mannsbild gewesen sein? Er, Philip, der sein Leben im Gegensatz zu den meisten seiner Studienkameraden nicht allein auf seine Männlichkeit und maskuline Stärke aufgebaut hatte, fühlte plötzlich einen Beschützerinstinkt in sich aufwallen, von dessen Existenz er bisher nichts geahnt hatte.
»Und dann? Was ist dann geschehen mit diesem Samuel?«
»Feltlin hat ihn
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