Die Liebe des Kartographen: Roman
ersten Mal klar. Sicher, er wusste, wie eine Eiche aussah und wie eine Buche oder Tanne. Aber das warâs auch schon. Er kannte die wenigsten Vögel oder andere Waldbewohner beim Namen. Und was Kräuter und Pflanzen anging ⦠Für ihn war der Wald lediglich eine groÃe Kulisse für seine Kartenkunst.
»Und was für eine Arbeit in den Wäldern soll das sein? Bäume zählen vielleicht? Seit du hier bist, hast du noch kein Wort darüber gesprochen. Und noch etwas: AuÃer den Leinstettenern und deinem Gaul scheint dich niemand zu vermissen â dich und deine Arbeit!«, spottete sie. »Das muss ja eine ganz wichtige Sache sein!«
»Was erlaubst du dir?« Wütend stellte Philip den Becher auf den Boden. »Was weiÃt denn du schon von meiner Arbeit? Eine Wissenschaft ist das, jawohl, eine ganze Wissenschaft für sich! In den höchsten Regierungskreisen bin ich wohlgelitten für mein Können.« Wie wichtigtuerisch das selbst in seinen Ohren klang! Trotzdem konnte er nicht an sich halten und fügte noch hinzu: »Herzog Ludwig hat mich mit einer groÃen Aufgabe betraut.«
»Herzog Ludwig!« In ihrer Stimme klang pure Verachtung mit. »Und wo ist dein Herzog jetzt? Wahrscheinlich säuft er sich von einem Rausch in den Nächsten. Der sucht nicht nach dir, und deinem gebrochenen Bein hilft er auch nicht. Aber ich tuâs, und deshalb könntest du zur Abwechslung einmal mir erzählen, wie deine ach so wichtige Arbeit ausschaut!« Sie blickte ihn herausfordernd an, als wollte sie sagen: Trau dich, mir ins Gesicht zu sagen, ich sei zu dumm dafür!
Trotz ihrer scharfen Worte bemerkte Philip ein Flehen in ihrer Stimme, nur sehr leise und fern, aber nicht zu überhören. Wieder einmal war er perplex über Xelias Widersprüchlichkeit. Oder war jeder Mensch so â und er hatte sich bislang nur nicht die Mühe gemacht, genau hinzuschauen und hinzuhören? Er seufzte. Vorsichtig wanderte sein Blick zu ihr hinüber. Hoffentlich legte sie ihm dieses Seufzen nicht sofort wieder als Unwillen aus.
Doch Xelia saà nur da. Schweigend. Und abwartend.
Und Philip dachte darüber nach, wie er ihr die hohe Kunst der Kartographie erklären konnte, ohne mit Begriffen wie Trigonometrie, Meridianbestimmungen und Winkelmessungen jonglieren zu müssen, wie ein Gaukler auf dem Jahrmarkt. Plötzlich war es ihm sehr wichtig, dass Xelia seine Arbeit guthieÃ, von ihr beeindruckt war und ihn dafür bewunderte. Wenn sie ihn schon für nichts anderes bewundern konnte â¦
Er versuchte ein Lächeln. »Wie viel Zeit hast du?«
Sie lächelte zurück, und Philip erkannte darin ihr Friedensangebot. »So viel wie du, das weiÃt du doch.«
»Gut. Denn ich muss dich warnen. Wenn ich erst anfange, von meiner Arbeit zu erzählen, dann kann ich meist so schnell nicht mehr damit aufhören!« Er schaute sie an.
Sie wartete.
Also begann er. »Es gibt eine alte Weisheit, die lautet: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt . Und genau das gilt auch für die Kartographie. Was ich tue, ist Schritte zählen.« Er schaute hoch. Hörte sich das wohl zu simpel an? Doch Xelia schien bei seinen Worten nichts zu finden. Sie hatte die Augen halb geschlossen und wartete darauf, dass er fortfuhr.
Und so erzählte Philip. Vom Stuttgarter Archiv, in das er seinen Vater als Kind begleiten durfte, und den dortigen Landkarten, die ihn schon damals fasziniert hatten. Von den Gesprächen zwischen seinem Vater und Kartographen, die im Auftrag der Regierung durchs Land zogen, um Gewässer, Städte oder ganze Landschaften zu vermessen.
Wie er diese Männer beneidet hatte! Sie waren es, die festlegten, wie groà das Land Württemberg war. Was für eine ehrenvolle und wichtige Aufgabe ⦠Erst als er älter und verständiger wurde, erkannte er, dass die Kartographen die Landesgrenzen nicht selbst festlegten, sondern diese nur bestimmten, und dass darin ein feiner Unterschied lag. Doch wurde deren Arbeit in seinen Augen dadurch nicht weniger wichtig.
Er erzählte von seinem Studium in Tübingen, auch von Adalbert Hyronimus, und erwähnte sogar, dass dieser sich in der Zwischenzeit als Arzt in Blaubeuren niedergelassen hatte. Dass er ihn beinahe besucht hätte und warum es bei diesem »beinahe« geblieben war, verschwieg er lieber. Während er sich immer tiefer in seinen
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