Die Liebe des Kartographen: Roman
ablenken.
Xelia schaute auf, und er konnte sehen, dass die Tränen schon in der Tiefe ihrer Augen lauerten. Sie sollte nicht mehr weinen müssen. Hastig sprach er weiter. »Der könnte dir eine Menge über die Herstellung von Arzneimitteln erzählen. Es gibt etliche Dinge, über die wir verschiedener Meinung waren, aber eines muss man ihm lassen: Was er auch anpackt in seinem Leben â er gibt sich nicht mit MittelmäÃigkeit zufrieden. Deshalb habe ich ihn als Student so sehr bewundert. Während seinen Kollegen der abendliche Krug Wein wichtiger war als der klare Kopf im Unterricht â¦Â«
Plötzlich durchzuckte ihn ein heiÃkalter Strahl. »Xelia!« Philip packte sie an beiden Armen. Dass dabei seine Karte verknitterte, fiel ihm nicht weiter auf. »Xelia!«, wiederholte er. »Das ist die Lösung! Ich helfe dir, hier wegzukommen! Ich bringe dich zu Hyronimus, sobald ich wieder gehen kann. Bei ihm bist du sicher!«
Xelia warf ihm einen verstörten Blick zu, einen Blick voller Ungläubigkeit, so dass er im selben Moment an seinen eilig und unüberlegt herausgeplapperten Worten zu zweifeln begann. Was schlug er da vor? Wohin wollte er sie bringen?
Er? Sie bringen?
Was um alles in der Welt hatte er da nur gesagt?
~ 27 ~
V on dem Tag an gab es zwei verpönte Themen in der Höhle: die Qualen, die Xelia durch den Gerber erlitten hatte, und Philips Vorschlag, sie möge mit ihm kommen. Die Vertrautheit, die sich in den letzten Tagen zwischen ihnen eingestellt hatte, hatte einen Dämpfer erfahren. Sie gingen miteinander um, als hätten beide ein Dutzend rohe Eier zu tragen. Philip konnte Xelia nicht einmal mehr anschauen, sondern begann wieder, an ihr vorbeizublicken, wie er dies anfänglich getan hatte. Zu seinem Plan sagte er nichts mehr, nuschelte nur noch einmal, er werde sich Gedanken über die Durchführung machen.
Und Xelia fragte nichts. Sie hatte sowieso nicht vor, sich auf irgendetwas dieser Art einzulassen. Nein, sie hatte sich schon einmal darauf verlassen, dass ein Fremder ihr zu einem besseren Leben verhelfen würde. Und wohin war sie damit gekommen? Sobald Philip wieder auf eigenen FüÃen stehen konnte, würde sie zusehen, dass auch sie wegkam. Und zwar allein.
Warum nur versetzte ihr der Gedanke kleine, schmerzende Stiche in der Herzgegend?
Xelia war beim Kräutersammeln, ein gutes Stück von der Höhle entfernt. Es musste nun bald auf November zugehen, und auÃer etwas hartnäckigem Löwenzahn, angegrauter Schafgarbe und Butterblümchen wuchs fast nichts mehr, was sich zum Verzehren eignete. Xelia konnte bald keine Schafgarbe mehr sehen, geradezu schlecht wurde ihr inzwischen von deren bitterem Geschmack! Jeden Tag spürte sie jetzt ein bisschen deutlicher, dass der Winter langsam näher kam. Hoffentlich konnten sie aufbrechen, bevor das ganze Land unter einer Schneedecke versank.Wenn sie wenigstens schon gewusst hätte, wohin sie gehen sollte! Philip konnte sie wohl schlecht um Rat fragen â¦
Philip, der Schrittezähler. Ihre Gesichtszüge wurden weich, und ein Lächeln umspielte ihren Mund, ohne dass sie es merkte. Er war kein schlechter Mann. Er konnte sogar recht freundlich sein, wenn er sich anstrengte. Und so von oben herab wie anfangs verhielt er sich auch nicht mehr. Eigentlich fühlte sie sich sehr wohl in seiner Gegenwart ⦠Bei dem Gedanken wurde ihr ganz warm ums Herz. Aber er war ihr in vielen Dingen unterlegen, das war ihr in den letzten Wochen immer häufiger bewusst geworden. Trotz seiner ganzen Lernerei und seinen Wissenschaften! Einem Mann, der nicht einmal ein ordentliches Feuer machen konnte, sollte sie sich anvertrauen? Einem, der von sich aus nicht in der Lage war, sein heilendes Bein zu bewegen, dem sie täglich aufs Neue erklären musste, wie wichtig die Ãbungen für sein Bein waren? So jemand sollte für sie sorgen können?
Xelia stellte ihren Korb ab und setzte sich auf eine besonders dicht mit Moos bewachsene Stelle. Durch die fast kahlen Bäume schien die Sonne und wärmte ihre Schultern und ihren Rücken. Sie wandte sich um, damit auch ihr Gesicht etwas von der stärkenden Sonnenkraft abbekam. Die Strahlen prickelten auf ihren Wangen, und Xelia fühlte sich lebendig wie schon lange nicht mehr. Es war so still hier, so ruhebringend. Kaum mehr ein Vogel war zu hören. Alle waren schon wer weià wohin geflogen, um dort den
Weitere Kostenlose Bücher